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Amélie & Oma Annemarie: „Dieses Schweigen meiner Großmutter war das laute Schweigen des Großteils einer ganzen Generation. Mich prägt es vielleicht bis heute. “

Amélie & Oma Annemarie

Ich habe Panik, dass ein falsches Wort meinerseits dazu führen könnte, dass meine Großmutter post mortem gecancelt wird


Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, wollte ich meine Großmutter anrufen und ihr Fragen stellen. Ich sah sie vor meinem geistigen Auge an ihrem runden Esstisch sitzen, vor sich Eier und Räucherlachs, hinter sich ihre geliebte dunkelgrüne Wand. Das Esszimmer war das Zentrum ihres Universums, regelmäßiger Treffpunkt der Familie unter ihrem eisernen Regiment. „Wie war das im Krieg?”, hatte ich sie als Kind einmal gefragt. Sie schwieg damals lange. Furchtbar sei es gewesen, war alles was sie sagte. An diesem Abend steckte sie meine Bettdecke noch fester als sonst unter die Matratze, bevor sie die Tür schloss und ich kurz darauf nur noch die große Wanduhr im Flur ticken hörte. Dieses Schweigen meiner Großmutter, das ich so zum ersten Mal wahrnahm, war das laute Schweigen des Großteils einer ganzen Generation. Mich prägt es vielleicht bis heute.

Ich kann meine Großmutter nicht mehr anrufen und ihr Fragen stellen, denn sie ist bereits verstorben. Aber seit diesem Tag im Februar, an dem ich sie so deutlich vor mir sah, will ich über sie schreiben. Jedoch weiß ich nicht, ob ich dies überhaupt kann oder darf. Aus zwei Gründen: Wir hatten eine schwierige Beziehung und Oma war Deutsche, so wie ich. Will ich über sie und unser Verhältnis sprechen, muss ich auch auf die Erfahrung einer Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg Bezug nehmen. In einem Jahr, in dem die AfD voraussichtlich die Landtagswahlen in mehreren Bundesländern gewinnt, rassistische und antisemitische Angriffe sich in der ganzen Welt häufen und die öffentliche Debatte in Deutschland so heiß läuft wie noch nie zuvor, scheint solch ein Text riskant. Zu schnell kann er missverstanden werden. Ich habe Panik, dass ein falsches Wort meinerseits dazu führen könnte, dass meine Großmutter post mortem gecancelt wird. Oma würde mich wahrscheinlich nur verständnislos mit blauen Augen anschauen und mich dann achselzuckend in ihre Küche mitnehmen, um mir zu zeigen, wie man möglichst elegant Schokopudding über Dosenbirnen in kleine Glasschälchen kippt.

Oma Annemarie und Amelie_Über das Schweigen

Während die Taten des Nationalsozialismus unverzeihlich sind, so ist die Erinnerung an Familienmitglieder nicht immer nur schwarz oder weiß. Ich will mit Empathie an meine Großmutter denken, auch wenn ich sie oftmals nicht ausstehen konnte. Meine Mutter verspricht mir zu helfen und versucht, meine Wissenslücken mit Fotos und ihren eigenen Erinnerungen zu füllen. Während wir telefonieren und über Oma sprechen, müssen wir beide weinen – kurz darauf streiten wir heftig. Meine Mutter ist ebenfalls ein Buch mit sieben Siegeln und ich fühle mich oft missverstanden, wenn wir über die Familie sprechen. Mama geht es in der Beziehung mit mir wahrscheinlich ähnlich. Einige Stunden später sitze ich am Fenster meiner Pariser Wohnung und suche das Licht des Eiffelturms.

Während die Welt draußen sich immer schneller dreht, verschwimmen Bilder aus meiner Kindheit mit den Erzählungen meiner Mutter und werden zu Fiktion. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft, wenn ich mit Freundinnen und Freunden rede, die zögern, ihre Religionszugehörigkeit offen zu zeigen, oder wenn Sicherheitsexpert*innen nach Ende eines Interviews von Angst sprechen.

Meine Großmutter hieß Annemarie Leister, geboren 1929 in Thüringen. Sie war 16 Jahre alt, als der Krieg endete und die russische Besatzung begann. Dort setzt die Erzählung meiner Mutter ein. Über die Kriegsjahre sprechen wir am Telefon nicht, was mich nicht überrascht. Ich frage gar nicht erst danach und mache mir hastig Notizen, während Mama sich an ihre Mutter erinnert, was nicht oft passiert. Beide Frauen sprachen zu Lebzeiten eher selten miteinander. Oma Annemarie’s Vater war Lehrer und Parteimitglied, erfahre ich so zum ersten Mal. Ob er die Propaganda glaubte, ob meine Großmutter sie glaubte, ich weiß es nicht. Parteimitglieder durften nach Kriegsende nicht arbeiten, erzählt meine Mutter, die Familie hatte also kein Auskommen. Annemarie ist das älteste von vier Kindern und beginnt direkt nach dem Abitur als Sekretärin zu arbeiten. Was sie verdient, tritt sie zuhause ab. Sie kümmert sich um ihre Geschwister und wird für sie zur Bezugsperson, schließlich finanziert sie die Ausbildungen für alle drei. Jeden Abend läuft sie von der Arbeit nach Hause und wartet auf Zeichen ihres Vaters. Sind russische Soldaten in der Nähe, dreht sie wieder um und kommt anderswo unter. Begegnet sie Soldaten auf der Straße, versteckt sie sich am Straßenrand. Ich frage mich, ob ich ihre Kraft gehabt hätte. Ich frage mich, was ihr damals durch den Kopf ging. Während meine Generation sich auf sozialen Medien profiliert, vergrub meine Großmutter ihr Gesicht im Straßengraben. „Oma wollte Lehrerin werden”, so meine Mutter. Stattdessen verhandelte sie mit den Russen, brachte die Familie in den Westen und verlobte sich 1955 mit meinem Großvater. Sie legte ihre Träume ab wie ihren Mädchennamen.

Dialog mit Erinnerung

Ein Haus wie das andere, der Garten mit der großen Terrasse und den vielen Spatzen, Omas Paradies. Der Zierbrunnen, in welchen ich als Kind zum großen Ärger meiner Familie mit großer Freude Steine warf, immer makellos. Wir waren selten bei meinen Großeltern zu Besuch. Am häufigsten wahrscheinlich, als ich noch ein Kleinkind war. Ich war Asthmatikerin und dauernd krank, nahm jeden Tag mehrmals Medikamente. Auch meine Großmutter hatte Asthma, erinnert sich meine Mutter. Oma sprach jedoch nie darüber und ging stattdessen nach Atem ringend und würgend ins Nebenzimmer, damit meine Mutter es nicht merkte. Oma wollte niemandem zur Last fallen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, zu ersticken und frage mich bis heute, wie sie ohne Kortison zurechtkam.

Während mein Großvater mir als Kind vorlas und ich Medikamente inhalierte, hantierte Oma in der Küche, um für alle zu kochen. Immer wenn sie buk, durfte ich die Schüssel mit Teig auskratzen. Essen war die einzige Sprache meiner Oma. Nicht nur ihre Sprache der Liebe, Ernährung war für sie auch Kontrolle. Sie entschied, was auf den Tisch kam und wer nicht genug aß, fiel in Ungnade. Ich erinnere mich nicht, wie ich mich als Kind in Omas Gegenwart gefühlt habe, aber sie wird ihre Familie sehr geliebt haben. Nur aus ihrem Panzer ausbrechen, sich verletzlich zeigen, um Hilfe bitten, das konnte sie nicht. Später wurden die Besuche bei den Großeltern seltener. Oma kam noch zu meinen Geburtstagen oder wir sahen sie an Nikolaus. Je älter ich wurde, desto mehr spürte ich die Anspannung meiner Mutter bei diesen Treffen. Als ob sie beweisen müsste, dass sie alles könne: Perfekte Mutter, perfekt Hausfrau, perfekte Karriere. Ich hatte mir als Kind oft gewünscht, dass man als Familie einfach gemeinsam am Tisch sitzt und lacht. Schließlich habe ich beide Frauen geliebt.

Oma Annemarie _ Erinnerung

Ich denke manchmal, ich muss meine Großmutter sehr enttäuscht haben. Anstatt in der Rolle als liebevolle Tochter, Schwester und zukünftige Ehefrau aufzugehen, wollte ich etwas anderes. Ich wollte lernen und studieren, vor allem wollte ich mich nicht deutsch fühlen. Das Deutschsein war für mich schmerzhaft, bis heute schreibe ich ungern in meiner Muttersprache. Ich arbeitete als Model und Journalistin, während Oma wahrscheinlich vergebens auf meine Verlobung wartete. Dass sie meine Hochzeit – so ich denn eines Tages heiraten werde – nicht mehr erleben kann, macht mich seltsam traurig. Das Mädchen in mir will es ihrer Großmutter wohl noch immer Recht machen, auch wenn es beinahe an dem Versuch zerbrach.

Eine Frau war für Annemarie weniger wert als ein Mann. So brachte sie mir bei, meinem Bruder alles hinterherzutragen und nicht zurückzuschlagen, sie schenkte mir Geschirr für die Aussteuer und brachte mir liebevoll das Backen bei. Andererseits bezeichnete sie mich auf Familienfeiern als schwarzes Schaf und schaute missbilligend auf meine kurzen Haare und langen Beine. Sie schwieg zu Politik, sie schwieg zum Krieg, sie schwieg zu meinen Träumen, also begrub auch ich sie lange Zeit.

Bis heute weiß ich nicht, was für ein Mensch meine Oma war.

Wie ich, wollte auch meine Mutter dem Leben als Hausfrau entkommen. Mama floh vor den Geschichten aus der russischen Besatzungszeit nach Frankreich und Italien, um sich selbst und später ihren Kindern im Süden ein neues Zuhause zu geben. Sie ging in den 70ern und 80ern als Feministin auf die Straße, gab Frauenreiseführer heraus und drehte Filme. Sie schaffte, was für viele Frauen ihrer Generation unmöglich war: Sie hatte Kinder und eine Karriere, auf die sie stolz war. Um die Kraft dafür zu haben, sprach sie so gut wie nie mit ihrer Mutter. Und wenn Mama doch ab und an den Stuhl ans Telefon im Wohnzimmer rückte, kurz Luft holte und die Trierer Vorwahl tippte, wusste ich immer, was kam. Entweder sie schwieg nach dem Telefonat, oder sie weinte. Meine Mutter hatte nach den Gesprächen mit Oma immer ein schlechtes Gewissen.

Ich denke oft, dass ich ganz anders bin als meine Großmutter und Mutter, liebevoller. Zugleich weiß ich, wie viel von beiden ich in mir trage. Das Schweigen beider Frauen wurde zu meinem Bedürfnis, über alles zu reden und zu schreiben. Der Kampf meiner Mutter wurde mit zum Beweggrund vieler meiner beruflichen Entscheidungen. Die Scham, mit dem Nationalsozialismus direkt oder indirekt in Verbindung zu stehen, erlaubt mir, anderen zuzuhören. Die Träume, die meine Großmutter nicht leben konnte, sind mein größter Antrieb.

Ich habe keine Lösung für die aktuelle Angespanntheit im deutschen öffentlichen Raum. Es fühlt sich für mich auch anmaßend an, diese überhaupt zu suchen. Was ich von der Beziehung mit meiner Großmutter gelernt habe, ist, dass man manchmal Schweigen akzeptieren muss – ob man will oder nicht. Dass man aber auch einem schweigenden Menschen zuhören kann. Dass man lieber versöhnlich sein sollte, als vorschnell zu urteilen. Dass es keine einfachen Antworten gibt, dass eine jede Person eine eigene Wahrheit lebt und dass es sich lohnt, diese zu suchen. Vielleicht ist es das, was uns gerade fehlt. Ein Raum, in dem wir einander wirklich zuhören.

Meiner Mutter habe ich den Text geschickt und sie fand ihn gut. „Oma würde es nicht ganz verstehen, aber sich insgeheim freuen. Sagen würde sie natürlich nix”, kam als Antwort aufs Handy.

Hey Nana - Jadu und Oma Maria

Diese OMAge stammt von Amélie Baasner. Sie ist studierte Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin. Seit 2018 arbeitet sie als freie Journalistin in Deutschland, Frankreich und Italien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Feminismus, Subkultur und Fotografie, aber auch Menschenrechtsthemen und Klimawandel. Sie setzt sich vermehrt für eine europäische Öffentlichkeit und die Kooperation europäischer Leitmedien ein.

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Toja & Omimi Lilo: Zuhause friedlich sterben, das wünschen sich viele. Doch was bedeutet es, diesen Wunsch zu erfüllen? Toja schreibt von den letzten Monaten mit ihrer krebskranken Nana.

Toja & Omimi Lilo

„Ich setze mich zu dir und deine Hand findet ein letztes Mal meine. Während dein Herz langsam aufhört zu schlagen, klopft meines lauter als je zuvor. Als will es sagen: Ich schlage für dich weiter, keine Sorge.”


Die Trauer ist ein seltsames Gefühl. Zweieinhalb Jahre nach deinem Tod verschwindet sie oft wochenlang, als wäre sie nie da gewesen. Und dann bringt mich ein Paar Socken zum Weinen. Die Socken sind gepunktet und erscheinen in einem Dokumentarfilm. Eine erwachsene Tochter zieht ihre pflegebedürftige Mutter an. Junge Hände streifen behutsam über geschwollene Füße und faltige Knöchel. Plötzlich habe ich Sehnsucht nach deinen Socken, Omimi. Sie waren hellblau und an den Fersen schon ganz ausgelatscht, aber zum Flicken fehlte dir die Kraft und mir das Geschick.

Frühling, 2021. Gerade habe ich deine Füße gewaschen und eingecremt. Ich knie auf dem Fliesenboden in deinem Bad und schaue zu dir hoch. Du windest lachend deinen Fuß hin und her, versuchst, mir das Anziehen leichter zu machen. „Vertauschte Rollen“, stellst du fest, und erinnerst dich wohl an eine umgekehrte Situation vor etwa 25 Jahren. Da hast du mir die Socken angezogen, weil ich es noch nicht konnte. Jetzt übernehme ich Schritt für Schritt das, was du nicht mehr kannst. Das Leben läuft vorwärts und rückwärts zugleich, in runden Kreisen. Meines begann mit dir und deines wird mit mir enden. Aber bis zum Ende bleibt uns noch etwas Zeit zum Lachen. „Einsteigen bitte“ sage ich jetzt, und halte dir deine Klettsandalen hin. Dann hänge ich mir das Sauerstoffgerät um, schiebe deinen Rollator in den Aufzug und wir gehen spazieren.

Hey Nana - Jadu und Oma Maria

„Für so etwas hat man heute doch Personal“, schreibt mir ein nahestehendes Familienmitglied, als ich dich gerade ins Bett gebracht habe. Zuhause sterben? Früher, ja, da musste man das noch zusammen durchstehen, als Familie. Aber heute gäbe es doch Einrichtungen. Mit geschultem Personal: Menschen, die wüssten, wie man Socken anzieht, die man dafür bezahle. Das müsse doch keine Enkelin auf sich nehmen. Meinen Entschluss, dich zu pflegen, habe ich selbst nicht kommen sehen. Vor deiner Krebsdiagnose habe ich mit derselben Bewunderung, demselben Respekt, demselben Unverständnis auf Geschichten wie unsere reagiert. Aus der Ferne klang es schaurig: Dich in den Tod pflegen. Von Nahem betrachtet, muss ich feststellen: dein Tumor nimmt uns gemeinsame Zeit, und schenkt sie uns doch. Er wächst aggressiv, lange wirst du meine Hilfe nicht brauchen. Für ein paar Wochen kann ich mein Leben pausieren und bei dir einziehen. Wir haben Glück: Der Krebs tobt in deinem Bauch, streut in Leber und Lunge, aber dein Kopf bleibt verschont. So bist du genau die Person, die ich ein Leben lang kennengelernt habe. An deinem Blick, deiner Haltung, kann ich ablesen, was du brauchst: vom Wasserglas über die Lymphdrainage bis zu den Bratkartoffeln zum Mittagessen. Ich kaufe ein, wasche Wäsche, backe Kuchen, drehe deine Haare in Lockenwickler. Unser Rollenwechsel verläuft reibungslos, ohne viele Worte. Als wäre ich deine Zweitbesetzung, die 28 Jahre lang auf ihren Einsatz gewartet hat. 


Mein Lohn dafür ist Zeit mit dir. Wir blättern uns durch alte Fotoalben, schreiben deine Erinnerungen auf, kaufen schallend lachend Umstandskleidung für deinen wachsenden Bauch, unterhalten uns abwechselnd mal über den Sinn des Leben, mal über die Einkaufsliste. In den ersten Monaten gelingt es mir, meine Traurigkeit herunterzuschlucken. Den Abschiedsschmerz auszuknipsen, so wie du es mit dem Fernseher machst, wenn ein trauriger Film läuft. Negativen Gefühlen bist du schon immer aus dem Weg gegangen. Man darf den Kopf nicht hängen lassen, sagst du. Also halte ich ihn mit aller Kraft oben. Bis wir eines nachmittags im Nähzimmer sitzen und ich daran denke, wie wir noch vor einem Jahr die Gardinen für dieses Zimmer ausgesucht haben (hell und fröhlich, mit kleinen Vögelchen). Mit Sorgfalt hast du deine neue Seniorenwohnung ausgestattet, damit du noch viele Jahre gerne aus dem Fenster schauen wirst. Umsonst. Alles, alles unwichtig. Die hässlichen Gardinen lachen mich spöttisch aus. Hätte ich dir mal zu etwas Modernerem geraten. Da habe ich nun den Salat, Rüschenvögel sind eben nicht zeitlos. In ein paar Monaten, Wochen, Tagen, werden sie in einem Container landen. Du sitzt neben mir an der Nähmaschine, nimmst all deine Kraft zusammen um letzte Löcher in meinen Hosen zu flicken. Du wirst keine Zeit mehr haben, mir das Flicken beizubringen. Wir werden keine Zeit mehr haben. Als ich aus Versehen schluchze, drehst du dich erschrocken zu mir um. „Oh nein“, sagst du „nicht weinen“. Du beugst dich über deinen Rollator, streckst deine Arme nach mir aus. Und dann weine ich in dein pinkes Stretch-T-Shirt mit den Strasssteinen. Das, von dem ich vor kurzem noch dachte, dass es dich älter macht, als du bist. Dabei bist du alt, älter, am ältesten. 84 Jahre, älter wirst du nicht mehr. „Wir hatten doch noch so viel vor“, sage ich und hinterlasse einen immer größer werdenden dunklen Fleck auf dem Pink an deiner Schulter. „Ich weiß, mein Kleines,“ sagst du, und es klingt wie „es tut mir leid“. Die Rollen wechseln hin und her. Ich bin es, die dich trösten müsste, weil du das Leben verlierst. Stattdessen singst du „Heile heile Segen“ für mich, weil ich dich verliere.

Deine Ärzte hatten dir noch drei Monate gegeben. Das war im November, jetzt ist es Juli. Die Einrichtungen mit dem geschulten Personal sind nun doch Thema. Zwischen dem Traumschiff und André Rieu wägen wir abends gemeinsam deine Optionen ab, während wir ratlos auf diesen Zug warten, der dich zu deiner letzten Reise abholen soll und für den es doch keine Ankunftszeit gibt und kein Gleis.

Dich plagt das schlechte Gewissen. Du willst nicht, dass ich mein Leben verpasse. Grübelnd sitzen wir gemeinsam auf deinem Pflegebett. Wir schauen uns Broschüren vom nächstgelegenen Hospiz an, das doch zu weit entfernt ist von deinem vertrauten Umfeld. Testen nächteweise das Pflegeheim im Stockwerk unter deiner Wohnung, warten dreißig Minuten lang auf Personal, nachdem wir den Notknopf gedrückt haben. Schauen uns an und wissen: das ist es nicht. So soll es nicht enden. Stattdessen lerne ich, deine Fentanylpflaster zu wechseln, die Atemmaske anzulegen, dir bei Atemnotsanfällen Beruhigungstabletten in die Backentasche zu stecken. In schwächeren Wochen deine Zähne im Bett zu putzen, den Toilettenstuhl zu leeren. In der größten Not die Nummer vom ambulanten Pallativteam zu wählen. Die Morphinspritzen liegen inzwischen in deinem Kühlschrank, direkt neben der Butter, aber zum Verabreichen brauche ich Hilfe. Das Pflegen setzt Ängste und Ekel außer Kraft. Nur gegen meine Spritzenphobie kommt die Liebe zu dir nicht an.

Pflege und Entertainment: Toja und Lilo beim Lesen

Deinem Tod aber will ich mutig in die Augen sehen. In diesen letzten Monaten teilen wir uns dein Ehebett. Ich schlafe auf Opas Seite, die seit zwei Jahren leer ist. Die neue Routine ist schnell vertraut: ich lagere deine geschwollenen Beine auf zwei große Kissen, gebe dir eine Schlaftablette und deine Atemmaske. Vor den nächtlichen Atemaussetzern hast du mir noch vorgelesen. Als das Beatmungsgerät einzog, habe ich auch diese Rolle übernommen. Sobald du schläfst, bereite ich mich auf dein Sterben vor als wäre es eine Schulprüfung, öffne zahllose Tabs: „todesanzeichen erkennen“ – „sterbender person helfen“ – „todesprozess wie lange“. Wann der Zug eintreffen wird ist immer noch unklar, aber das Internet bereitet mich auf seine Ankunft vor. Als er im September ganz plötzlich am Gleis steht, fehlen alle klassischen Anzeichen und trotzdem weiß ich es ganz intuitiv. Wir sind alleine in deinem Wohnzimmer, vor ein paar Tagen hast du von hier aus noch die Vögel beobachtet. Jetzt willst du endlich fliegen. Ich setze mich zu dir und deine Hand findet ein letztes Mal meine. Während dein Herz langsam aufhört zu schlagen, klopft meines lauter als je zuvor. Als will es sagen: Ich kann das jetzt alleine. Es ist unser letzter Rollenwechsel. Der Kreis ist geschlossen. Ich schlage für dich weiter, keine Sorge. Ich kann das jetzt alleine.

Das nahestehende Familienmitglied, das mir von deiner häuslichen Pflege abgeraten hatte, sitzt einige Stunden später neben dir und gesteht betreten, sich nicht an die letzte lange Unterhaltung mit dir zu erinnern. Da weiß ich: wir haben alles richtig gemacht.

Wenn ich sage, dass diese Monate mit Omimi die besten meines Lebens waren, dann ist das keine reine Plattitüde. Ich meine das so. So hat es sich jeden Tag angefühlt, auch wenn ich traurig, wütend, genervt oder hoffnungslos war. Oft hatte ich Angst, mich zu sehr an sie zu gewöhnen. Immer mehr Zeit zu wollen, nicht genug zu kriegen. Doch wenn ich heute von der Endlosschleife aus Kaffee und Kuchen, Buchhandlungsbesuchen, Pizzawaffeln im Garten und Nächten im Nähzimmer träume, dann weiß ich, dass Omimi irgendwann sowieso sagen würde, dass es ihr jetzt reicht. Eine Plauder-Oma war sie nicht. In ihrer Welt kamen die besten Sätze zügig zum Schluss. Die schönsten Momente waren schön, weil sie irgendwann ein Ende hatten. Banale Alltagssituationen in Dokus können mich heute zu Tränen rühren, weil ich weiß, wie endlich sie sind. Weil jedes Kind irgendwann selbst lernt, sich die Socken anzuziehen. Und jede Oma irgendwann keine Socken mehr braucht.

Hey Nana - Jadu und Oma Maria

Diese OMAge stammt von der Content Produzentin und Journalistin Victoria Deborah (Toja), die seit 12 Jahren im Ausland lebt. Erst in Melbourne und dann in Kopenhagen fehlen ihr neben ihrer Omimi in der Ferne vor allem die Spätzle.

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Tanja & Oma Ringel: „Zum Inventar unseres Hauses gehört Oma Ringel. Welch schöner Bonus in meinem Leben, denn ich bin nicht mehr omalos”

Tanja & Oma Ringel

Vom Glück einer Bonus-Oma.


Moin. Ja, in Hamburg da secht wi Moin oder ganz förmlich „Guten Tag“. Ich bin Tanja, fast 43, was sich seit Jahren eher wie Mitte 20 anfühlt. In meinen Genen fließt das Blut eines waschechten wortkargen Hanseaten und einer polnisch-deutsch-schwedischen, überhaupt nicht wortkargen, Mutter. Herausgekommen bin ich: eine Teilzeit-Extrovertierte, manchmal leicht spirituelle Tochter, die an Mondphasen glaubt, an Familie und Werte, die ihre eigene Meinung vertritt und Kaffee als Lebenselixier auch intravenös genießen würde.


Mein Sohn ist 19, studiert, hat 2021 seine eigene Firma gegründet und wohnt auch nicht mehr im Hotel Mama. Was ich schade finde, denn mein egoistisches Selbst hätte ihn gerne noch eine Weile bei mir gehabt. Ja, loszulassen fiel mir schwer – auch wenn ich dachte, dass ich gar nicht klammere. Pfft. 
Habe ich doch manchmal leicht herablassend über die „Helikopter Mamas“ geschimpft. 
Auf die emotionale Reise des Flügge-Werdens war ich nicht vorbereitet und musste selbst erkennen, wie wichtig es ist, sein Kind in die Welt zu entlassen.

Mit dem Auszug meines Sohnes stand bei mir ein Umzug an. Denn was sollte ich allein in unserer Vier-Zimmer-Wohnung? Ein neuer Mann, mit dem ich jetzt sogar verlobt bin, trat fast zeitgleich mit Samuels Auszug in mein Leben. Es kam, wie es kommen musste: Kennenlernen, verlieben, zusammenziehen. Ging alles irgendwie schnell.

 Ich lebe jetzt seit knapp 1,5 Jahren kurz vor der Grenze zu Norderstedt, was immer noch Hamburg ist, aber sich für eine Bergedorferin, was auch zu Hamburg gehört, fast wie auswandern anfühlt. 

Wir wohnen mit zwei Fellnasen, jeder Menge Starwars und Startrek-Kram (know the difference!) und berufsbedingter aufwendiger Influencer-Ausstattung (viel Klamotten, Ringlichter, Kameras und Beauty-Krams) in einem schnuckeligen Haus am Stadtrand.

Zum Inventar gehört außerdem Oma Ringel, die im unteren Bereich des Hauses ihr Zimmer und eine Terrasse hat.

Hey Nana - Carina & Oma Elfriede

Ich bin nicht mehr „omalos“ und das freut mich von Herzen

Ich weiß, dass mag vielleicht für einige eine ungewöhnliche Kombination sein. Das Mehrgenerationen-Haus ist bestimmt eine beängstigende oder gar utopische Vorstellung. 
Gerade in der heutigen Zeit, wo alte Werte vielleicht gar nicht mehr „en vogue“ sind und jede;r so individuell wie möglich leben kann und soll. Es mag aber auch sein, dass ich nicht mehr „omalos“ bin und mich das von Herzen erfreut.
 Mir war klar, dass wenn ich mich für ein gemeinsames Leben mit André entscheide, dann gehört Oma Ringel mit dazu. Sie ist die letzte lebende Verwandte (mütterlicherseits) und auch irgendwie die letzte Verbindung zu Andrés Mutter, die 2005 leider an Krebs verstarb.


Oma Gertrud ist knapp 94 Jahre jung und im Kopf fitter als manch junger Mensch.
 Sie hat Hände, die voller Falten und Lebensgeschichte sind, und dennoch so zerbrechlich und voller Stärke, dass sie mich direkt an die zarten Hände meiner Oma Sophie erinnern.


Gertrud ist vielleicht etwas langsamer und schneller aus der Puste, aber sie macht alles in ihrem Tempo. Unsere Hilfe braucht sie meistens nicht. Sie wäscht ihre Wäsche, was mir jedes Mal Schnappatmung macht, wenn ich sie die Kellertreppe heruntergehen sehe. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sie hinfällt. Aber, sie will es so. Diskutieren zwecklos. 
Sie duscht sich allein und legt sich jeden Samstagmorgen die Haare.
 Wir haben es mal mit dem Dyson ausprobiert. Hält aber nicht so gut, sagt Gertrud.
 Sie näht mir meine Knöpfe an oder repariert meine Oberteile. Und dies so feinsäuberlich und akkurat, dass ich echt nur staunen kann. Ja, Gertrud ist aktiv und munter. Nur der Körper will nicht mehr so, wie sie es gerne hätte.


Oft sprechen wir über alte Zeiten und sie holt ihr 200-seitiges Dokument über ihre Heimatstadt in Polen heraus, was vor dem zweiten Weltkrieg noch zu Deutschland gehörte. 
Ich höre jedes Mal, wenn sie spricht, den alten Schmerz heraus, der ganz tief sitzt. Und auch die große Sehnsucht, all die Traumata, die sie als junges Mädchen erlebt haben muss. Psychologische Betreuung, das gab es damals nicht.

Sie erzählt mir von ihren Eltern und Geschwistern und, dass sie ihr Haus und alles Hab und Gut zurücklassen und vor den polnischen Soldaten fliehen mussten.
 Sie wurde gezwungen eine „Nazi-Binde“ zu tragen, damit man weiß, zu wem sie „gehöre“.
 Musste weglaufen, unter freiem Himmel schlafen, hungern, frieren und in Hamburg ganz von vorne anfangen. All das, was Menschen gerade anderswo auch heute noch erleben.


Hey Nana - Carina & Oma Elfriede

Für mich ist ihre Stärke trotz aller Zerbrechlichkeit stets allgegenwertig. 
Sie erinnert mich an meine Omas und daran, dass das Leben gelebt werden muss. Und zwar heute. 
Oma Ringel zeigt mir, wie wichtig es ist, Zeit mit älteren Menschen zu verbringen. Wie bedeutend es ist, von ihnen zu lernen und ihre Ratschläge auch anzunehmen. 
Sie hat mir beigebracht, dass alt werden ein Privileg ist. Was mir nochmal besonders durch den Tod meines 42-jährigen Cousins in diesem Jahr bewusst geworden ist. Nicht jede:r von uns wird alt werden. 


Zu Weihnachten wünscht sie sich wie immer nichts, da sie schon alles habe. Woran wir uns natürlich nicht halten werden. Sie bekommt eine Orchidee aus Lego, weil sie gerne bastelt und dunkle Schokolade, weil die andere ihr zu süß ist. 
Und sie geht mit uns auf große Tour zu meinen Eltern in den Oberharz. Dort war sie zuletzt in den 70ern und sie mochte die Luft damals nicht so. Aber das hat sich heute sicherlich geändert, sagt sie.



Ich habe meine Bonus-Oma sehr lieb und wünsche uns noch viele gemeinsame Jahre.
 Sie ist nicht nur eine Bereicherung für mich, sondern auch eine Uroma für meinen Sohn, und wie eine Mama für meine Mama und meinen Papa.

 Welch schöner Bonus in meinem Leben!




Diese OMAge stammt von Tanja Marfo. Sie hat sich oben ja wunderbar selbst vorgestellt, aber wichtig zu erwähnen ist noch: Tanja, aka @kurvenrausch bei Instagram, setzt sich seit vielen Jahren für Toleranz und Köpervielfalt ein. In der Plus-Size-Szene hat sie viel bewegt und Ende 2022 dann die erste Ausgabe ihres  Magazins „Size Egal” herausgebracht. 

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Angelique & Ingeborg: „Omi, ich bin jetzt vegan”

Angelique & Oma Ingeborg:

„Omi – für mich die beste Köchin der Welt. Also packte ich all meinen Mut zusammen und es platzte aus mir heraus: „Omi, ich bin jetzt vegan!“


Ungefähr drei Monate nach meiner Entscheidung, vegan zu leben, stand der langersehnte Heimatbesuch an. Endlich konnte ich meine Familie wieder in die Arme schließen. Es war also auch an der Zeit, meinen Liebsten von all den Veränderungen und meiner neuen Lebensweise zu berichten. Ich war richtig aufgeregt! Die Beine haben gezittert, und ich habe geschwitzt. Aber wieso eigentlich? Na, weil ich weiß, wie skeptisch ich selbst gewesen war – und bei dem Gedanken daran, meinen Großeltern erklären zu müssen, dass ich von nun an nie wieder ihre Königsberger Klopse, Schnitzel oder sogar den weltbesten Erdbeerkuchen essen würde, wurde mir ziemlich bang.

Omi – für mich die beste Köchin der Welt. Die mich mit all ihren Leckereien verzauberte. Bei ihr wird jeden Tag fleißig gebacken, die ganze Küche riecht immer nach frischem Kuchen. Sobald ich die Treppe zu meinen Großeltern runterlaufe, fühlt es sich allein durch den Geruch immer
sofort wohlig und nach Ankommen an. Und in der Mitte meine Omi, stolz wie Oskar, wenn sie ihren Rezepten die Kirsche auf der Sahnetorte verleihen kann

Ja, da kann man schon mal nervös sein. Wie wird sie reagieren? Was wird sie sagen? Wird sie es verstehen, wenn ich es ihr erkläre? Also packte ich all meinen Mut zusammen und es platzte aus mir heraus: „Omi, ich bin jetzt vegan!“

Hey Nana - Angelique & Ingeborg: „Omi, ich bin jetzt vegan"

Omi guckte irritiert. »Vegan? Was bedeutet das, mein Schatz?«

„Wie soll ich dir das am besten erklären? Also, ich esse keine tierischen Produkte mehr. Also kein Fleisch, keine Eier, keine Milch, keinen Käse.“

„Ach, Kindchen, was soll ich dir denn jetzt noch kochen? Wie kann ich dir denn noch etwas Gutes tun? Ist das denn überhaupt gesund? Dir wird doch so viel fehlen. Dann kann ich dir ja gar nicht mehr deine Lieblings- Zwetschgenknödel machen, oder?“ Sie guckte ganz traurig. Da nahm ich ihre Hand und fing an, es ihr zu erklären.

„Oma, ich habe meiner Gesundheit zuliebe damit angefangen, und es geht mir schon so viel besser. Meine Migräne ist nicht mehr so stark und kommt immer seltener. Außerdem möchte ich nicht, dass Tiere für meinen Genuss leiden müssen. Egal, wie sie gehalten werden. Es ist eben leider nicht mehr wie früher. Da war all das noch etwas Besonderes. Der berühmte Sonntagsbraten etwa. Fleisch war damals etwas Besonderes, etwas, auf das man sich die ganze Woche gefreut hat. Und jetzt? Jetzt ist dieser Wert verloren gegangen.“

Daraufhin überlegte sie. „Ja, da hast du recht. Früher in der Nachkriegszeit kannten wir es gar nicht anders. Da konnten wir uns tierische Produkte nicht leisten und mussten erfinderisch werden. Aus wenig das Bestmögliche rausholen.“

Und auf einmal begann sie, von früher zu erzählen. Ich lauschte ihr lächelnd, wie sie in Erinnerungen schwelgte und immer wieder schmunzeln musste. Und dachte mir nur: Was für eine tolle Omi ich doch habe!

Was Oma über all das denkt

„Omi, ich bin jetzt vegan!“ Das war das Erste, was sie mir bei ihrem Besuch sagte. Natürlich wusste ich zuerst nicht, was ich ihr antworten sollte, und dann dachte ich mir nur: Was kann ich dem Kind denn jetzt noch kochen?! Alles, was sie gerne bei mir aß, war mit Zu taten wie Eiern, Butter oder Milch gebacken oder gekocht. „Oje“, dachte ich, „jetzt bist du 72 Jahre und sollst noch mal neu kochen lernen.“

Da fiel mir auf einmal meine Mutter ein, die mir vieles gezeigt und nach dem Krieg mit wenig Zutaten immer etwas Leckeres auf den Tisch gebracht hatte. Wir hatten damals einen großen Garten, wo jedes Jahr viel Gemüse und etliche Kräuter gezogen wurden. Einen Apfel- und Kirschbaum gab es auch. Den Sommer über konnten wir ernten, und für den Winter wurde eingekocht. Schon als Kind habe ich gewusst, wie man Marmelade und Apfelmus macht, auch heute noch mache ich das selbst.

Es tut mir immer sehr weh, wenn ich das viele Obst sehe, das nicht gepflückt wird oder auf dem Boden liegen bleibt. Und all das, was meine Mutter mir früher
gezeigt hat, war meist ohne tierische Produkte zubereitet, da sie einfach sehr teuer waren und wir uns das nicht leisten konnten.

Wie habe ich es doch geliebt, wenn es Kohlrabi-Schnitzel mit Kartoffeln gab! Alles frisch aus unserem Garten und – ja, auch pflanzlich. Wir hatten damals nur den Begriff „vegan“ noch nicht. Aber vom Prinzip her genau das Gleiche. Und uns hat als Kindern auch nichts gefehlt. Wir sind gesund und munter gewesen.

Wie sollte das heutzutage anders sein?, frage ich mich. Selbst heute habe ich noch einen kleinen Garten und versuche immer, das Wichtigste anzupflanzen oder zu säen. Viel Salat, Kohlrabi, Karotten, Zwiebeln, Tomaten, Zucchini, Sellerie und natürlich viele Kräuter. Da ich Enkelkinder und Urenkel habe, die öfter bei mir essen, koche ich viele Suppen damit, die sie alle lieben. Dazu brauche ich kein Fleisch, aber viel Gemüse. Also warf ich alle meine ersten Sorgen über Bord und habe mich einfach immer mehr mit der veganen Ernährung auseinandergesetzt. Als Angie wieder zurück nach Berlin gefahren war, begann ich, beim Kochen und Backen Neues beziehungsweise „Altes“ auszuprobieren.

Und stellte fest: Es ist tatsächlich gar nicht schwer, und ich habe so viel Freude daran! Jedes Mal, wenn sie mich besuchen kam, tüftelten wir gemeinsam an veganen Kreationen wie ihren allerliebsten Aprikosenknödeln mit Zucker und goldbraun geschmolzener Margarine. Mittlerweile gibt es immer viel Veganes, wenn mein Enkelkind zu Besuch kommt. Genauso wie an Familienfeiern. Und alle lieben es. Denn es schmeckt genauso wie vorher – und gesünder ist es obendrein. Hach, ich koche und backe für mein Leben gerne!

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wie meine Liebe zum Kochen entstand, muss ich immer schmunzeln. Meine Mutter hat mir damals zwei Ziegelsteine in den Garten nebeneinandergestellt, einen alten Ofenrost und einen Aluminiumtopf darauf. So habe ich für die Nachbarskinder immer Suppe und Pudding gekocht.

Heute sind die Nachbarskinder auch schon fast 70 Jahre, aber keiner von ihnen hat diese schöne Zeit vergessen, wie ich sie bekocht habe und was wir für einen Spaß zusammen hatten. Ja, diese Liebe zum Essen ist heute immer noch genauso stark.

Hey Nana - Angelique & Ingeborg: „Omi, ich bin jetzt vegan"

Diese OMAge stammt von Angelique Vochezer. Genau genommen aus dem Buch „Omi, ich bin jetzt vegan”, das im Verlag Allegria erschien. @angeliquelini steht für eine junge Generation, die verantwortungs-, umweltbewusst und gesund genießen möchte. Ihre Oma Ingeborg Teßmann hat die Gerichte aus der Kindheit in vegan übersetzt. Sie liebte das Kochen schon immer und führte jahrelang selber ein eigenes Restaurant. Sie mag zwar immernoch einen gescheiten Sonntagsbraten, aber für Ihre Enkelin hat sie sich auf das „Abenteuer vegan“ eingelassen.

Hey Nana - Angelique & Ingeborg: „Omi, ich bin jetzt vegan"

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„Wenn ich so alt wäre wie du“ Musikerin Mogli interviewt ihre Oma Barbara

„Wenn ich so alt wäre wie du“ 

Mogli interviewt ihre Oma Barbara

Hey Nana -  Musikerin Mogli  und Ihrer Oma Barbara


Auf was bist du so richtig stolz in deinem Leben?

Barbara: Puh, ich bin auf mein Leben, wie ich es gestaltet habe, total stolz. Wie ich das alles hingekriegt habe, von der Studentenehe mit Kindern und ohne Geld hin zum relativen Reichtum und Glück in meinem Leben. Ich habe mich selbst weiterentwickelt – vom schüchternen Mädchen zu einer jungen Frau, die sich eigentlich nichts getraut hat zu einer selbstbewussten Frau. Und jetzt bin ich super stolz auf mein neues Zuhause, dass ich nur für mich alleine und niemanden sonst gemacht habe.
Mogli: Das sind aber ganz viele und ganz schöne Antworten.
Barbara: Muss ich dich nicht auch mal was fragen?
Mogli: Wir fragen uns gegenseitig.
Barbara: Worauf bist du richtig stolz in deinem Leben?
Mogli: Ich bin stolz darauf, dass ich mutig bin und gelernt habe, um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Und darauf, wie viel Liebe ich in mir habe und wie ich die in die ganze Welt verstreue.


Was hat deine Generation, was meine nicht hat?

Mogli: Da fällt mir als erstes Tinder ein [lacht]. Das ist so eine Online-Dating-Plattform, also eine App.
Barbara: Das ganze „Online sein“ im Grunde genommen. Wir haben es uns angeeignet, aber es ist nicht unser Ding geworden.
Mogli: Ich gehöre gerade noch zu der Generation, die auch ein Leben hatte, ohne Internet und ohne Handys. Das macht mich schon auch zu einer besonderen Generation dazwischen. Wir haben noch erlebt, wie es ohne es ist, sind jetzt aber trotzdem damit vertraut. Und die, die nach mir kamen, also keine zehn Jahre nach mir, die kennen es schon nicht mehr ohne…
Was haben wir denn noch? Nachhaltigkeitsbewusstsein?
Barbara: Das war bei uns wirklich nicht vorhanden.
Mogli: Auf der einen Seite nicht, aber es gab ja auch immer Ökos. Davon bist du ja auch eine gewesen.
Barbara: Sogar Freunde von mir haben vor 40 Jahren schon Carsharing gemacht, das nannten wir eben nicht so. Wir haben miteinander geteilt. Wir haben im Dorf einziges Auto für fünf bis sechs Familien genutzt.


Wenn du so alt wärst wie ich – was würdest du tun?

Barbara: Wenn ich so alt wäre wie du, dann würde ich auch auf die Straße gehen und ich würde aktiver für die Umwelt kämpfen. Und wenn das meine Energie zulässt, würde ich mich vielleicht auch politisch grün mehr einbringen. Da würde ich mich vielleicht sogar aufstellen lassen für einen Gemeinderat oder so. Und ich würde versuchen, die Kirche umzukrempeln.
Mogli: Das hast ja auch gemacht in meinem Alter. [lacht]
Barbara: Habe ich ja auch. Aber es war nicht so nachhaltig ehrlich gesagt.
Mogli: Meinst du die Kirche lokal hier?
Barbara: Allgemein die evangelische Kirche erneuern, mehr unter Leute gehen, mehr für junge Leute tun und mit jungen Leuten machen. Also gerade im Coronajahr hat es angefangen eigentlich, dass die Kirche nach draußen ging. Es gab super Gottesdienste draußen! Aber es ist auch die Sozialarbeit, die die Kirche mehr leisten müsste.
Mogli: Interessant, dass du es auf die Kirche beziehst! Weil ich einfach denke, dass man ja auch mehr soziale Organisationen gründen kann. Es muss ja nichts mit Gott und dem Glauben zu tun haben.
Barbara: Ja, aber mir ist die Kirche wichtig und der Glaube. So, und wenn du jetzt 77 wärst, meine Liebe?

Mogli: Ich glaube, ich würde auf der einen Seite zwar versuchen, ein gesundes Leben zu führen, Yoga machen und so – aber auf der anderen gleichzeitig verschiedene Drogen ausprobieren, weil sie mir nicht mehr so schaden könnten. Ohne schlechtes Gewissen zu habe.
Barbara: Ist ja witzig!
Mogli: Ohne mir Energie für wichtige Dinge im Leben zu nehmen oder jetzt noch irgendwas sein zu müssen oder noch was erreichen zu müssen. Das ist natürlich auch nur ein Platzhalter. Nicht nur Drogen, aber halt einfach lauter Sachen machen, die nur für mich sind. Irgendwie ist es ja auch schön, wenn man dann genau machen kann, was man will am Schluss und dass man nicht mehr das Gefühl hat, dass man sich so viel von seiner Zukunft wegnimmt. Wenn ich jetzt jeden Tag Zucker esse, beeinflusse ich so eine lange Zukunft von mir. Und in deinem Alter ist es ja auch nicht gut, wenn du das machst und musst ja auch aufpassen auf dich…
Barbara: Aber genau das ist es! Also wenn ich manchmal hier sitze und trinke ein Glas Rotwein und dann denke „Das darfst du doch nicht, da wirst du abhängig!“ Dann sage ich mir: Und was soll’s? Oder wenn ich dicker werde, ich gehe ja nie mehr auf die Waage. Was soll’s? Also insofern: Das Altersfeeling hast du schon.


Wärst du gern so alt wie ich?

Barbara: Nein!
Mogli:
Ich auch nicht, auf gar keinen Fall.
Barbara:
Ohne Wenn und Aber: Nein! Mit drei Ausrufezeichen! Warum willst du wissen? Weil ich da noch so auf der Suche war. Einerseits war ich glücklich mit meinen kleinen Kindern, aber ich war auch irgendwo unglücklich, weil ich in hier im Ort war und keine Leute kannte und keinen Führerschein hatte. Und dann habe ich meinen Führerschein gemacht, dann gab es wieder ein bisschen Glück, weil ich Auto fahren konnte. Es war so ein Hin- und Her und das will ich nicht mehr.
Mogli: Und ich will nicht so alt wie du sein, weil ich noch so viel zu erleben habe.
Barbara: Klar, wenn man als 27-Jährige sagt, sie möchte gern 77 sein, dann stimmt was nicht im Leben. [lacht]


Was denkst du über die Frauen in meiner Generation?

Barbara: Dass sie Glück haben, in die Generationen hineingeboren zu sein, weil viel mehr möglich ist. Weil meine Generation euch viel erkämpft hat. Im Grunde genommen sind wir die ersten Frauen gewesen, die berufstätig waren. Ihr artikuliert euch, ihr kämpft für euch. Früher wurde das immer angegriffen von allen Seiten, wenn wir gekämpft haben. Aber ihr erfahrt auch viel Bestätigung dafür. Also ich hab auch einfach große Hoffnungen in eure Generation, dass ihr die Gesellschaft anders prägen könnt mit euren Kindern und vielleicht eine stärkeren Frauengesellschaft entstehen wird.
Mogli: Ich kann halt nicht von dir als Vertreterin deiner Generation sprechen, weil du mich so anders bist wie viele andere Frauen in deiner Generation. Ich habe auch ganz viele Frauen in deiner Generation gesehen, die nie gelernt haben, für sich einzustehen. Ich meine auch nicht, dass sie daran schuld sind, aber dass sie durch das Patriarchat einfach untergegangen sind. Mir tun manche Frauen aus deiner Generation auch leid, weil sie nicht so progressiv sein konnten. Oder keinen Partner hatten, wie du ihn hattest oder aus einer Familie wie der unseren stammen und sich somit vielleicht weniger entfalten konnten.
Barbara: Alle Leute, alle Jüngeren, sagen: Guckt euch die Barbara an, so möchte ich mal werden. Alle wollen sie so werden wie ich. Und das ist schon das beste Zeichen, dass es nicht Viele gibt, die so ihren Weg gegangen sind. Ich finde es zwar manchmal doof und lästig, denn ich bin nicht nur stark und toll, aber es ist natürlich auch schön ein Vorbild zu sein. Das scheint ‚was Besonderes zu sein in meiner Generation.


Was können die Jungen von den Alten lernen?

Mogli: Dass nicht immer alles ein Drama ist.
Barbara: Mein Wort wäre jetzt Gelassenheit. Mehr lassen. Einfach mehr Ruhe. Nicht der Zeit hinterher rennen, einfach voll gelassen sein.
Mogli: Ich erinnere mich noch an eine Geschichte als Teenagerin: Ich war total verliebt, aber die Story war hochdramatisch und mir ging es schlecht. Bei dir zu Besuch, hast du mich so angeguckt und gesagt: „Um Gottes Willen, zum Glück bin ich nicht mehr so alt wie du. Es ist anstrengend.“ Ja, irgendwann ist nicht mehr alles ein Drama. Mit der Zeit lerne ich echt, dass mich nicht sofort etwas umpusten kann. Wenn man noch nicht genau weiß, wer man ist, dann pustet es einen immer gleich so um.
Barbara: Du hast gedacht, dass dieser Herzschmerz nicht weggeht. Aber ich weiß ja selbst, wie die Gefühle sind, dieses Drama. Ich habe mich ja auch mal in andere Männer verliebt…
Mogli: Schön, dass das irgendwann vorbei ist. Ich habe dieses Jahr zum ersten Mal das Gefühl, dass ich in meinem Leben irgendwo angekommen bin. Natürlich passieren noch Sachen, die sich dramatisch anfühlen können. Aber ich glaube, ich bin jetzt mal so mit beiden Beinen im Leben und ein bisschen angekommen.
Barbara: Deswegen warst du auch bereit, körperlich ein Kind zu kriegen. Es ist sehr gut, dass es nicht schon vorher geklappt hat.


Was bedeutet Unabhängigkeit für dich?


Barbara: Frei sein. Allein sein. Dann kann ich jederzeit entscheiden, was ich machen möchte und wie ich es machen möchte. Komischerweise fühle ich auch eine Verantwortung bei diesem Freisein, also Verantwortung für Freunde, Familie und so weiter ist. Ich habe Freunde und dafür muss ich auch was tun, möchte ich auch was tun. Und diese Balance zu finden, das ist für mich Unabhängigkeit. Also nicht nur einfach für mich sorgen, sondern diese Balance im Auge zu haben.


Mogli: Ich glaube, echte Unabhängigkeit werde ich in meinem Leben nie haben und erfahren und leben, weil ich andere Menschen in meinem Leben brauche. Da hatte ich einen Moment in meiner Therapie einmal: Da wusste ich, dass ich die nächsten drei Wochen alleine sein würde und habe mich da hingesetzt und wollte vorbildlich erklären, dass ich in dieser Zeit unabhängig bin und mich um mich selbst kümmere, denn das müsse man ja auch mal lernen. Dann hat meine Therapeutin gesagt: „Du hast mir erzählt, wie du aufgewachsen bist und dass du viel Liebe erfahren hast und dass ihr viel gekuschelt habt. Und ich glaube einfach, dass du ein Mensch bist, der nicht dafür gemacht ist, allein zu sein.” Und ich glaube, dass das grundsätzlich eine der schlimmsten Mythen unserer Zeit ist, dass wir von selber verlangen, uns das zu geben, was uns andere geben können, weil es halt nicht geht. Du kannst dich nicht selber in Arm nehmen, du kannst nich mit dir schlafen. Sie meinte dann, dass es mir gut tun würde, wenn ich akzeptiere, dass ich andere Menschen brauche in meinem Leben. Nicht nur will, sondern sie auch brauche und das hat für mich einen riesen Unterschied gemacht. Also diese eine Erlaubnis. Und in dem Wissen darum, dass ich andere Menschen habe in meinem Leben und dass sie mein Sicherheitsnetz sind, das ich hier habe, kann ich mich ziemlich unabhängig fühle.
Barbara: Also dann ist das doch nur eine Definitionsfrage. Also das gilt für mich nämlich auch. Aber du bist unabhängig im Grunde genommen, weil du für dich herausgefunden hast, du brauchst diese Nähe zu jemandem. Und das kann ich für mich auch nur sagen. Ich brauch die Leute ungeheuer. Ich brauche euch als Familie ungeheuer. Aber es ist ein Gefühl, ich kann auch ohne. Ich weiß, dass ich euch hab und das ist gut. Ich muss mir meine Streicheleinheiten vom Therapeuten holen und Massage und so weiter. Aber geht ja alles. Aber ich würde meine Unabhängigkeit einschränken, wenn ich mir jetzt einen Mann hole, nur um jemanden um mich zu haben. Das machen viele alte Frauen und alte Männer schon sowieso. Aber ich auf gar keinen Fall.
Mogli: Für mich bedeutet immer Unabhängigkeit auch unabhängig von den gesellschaftlichen Ansprüchen an mich zu leben. Und das hab ich schon immer gemacht.
Barbara: Selbstbestimmt ist vielleicht das bessere Wort für uns als unabhängig.


Wen siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?


Barbara: Eine ganz schön alt gewordene Frau. Die mir oft gefällt, aber nicht immer. Heute Morgen hab ich die ganzen Härchen vom Bart gesehen.
Mogli: Aber die habe ich auch [lacht]
Barbara: Meine sind so borstig geworden, da sind so ganz harte Dinger. Wenn ich in den Spiegel gucke, sehe mich halt so wie ich bin mit meinem Alter und allem. Und ich merke, dass ich besser in den Spiegel schauen kann jetzt als noch vor Jahren. Da habe ich immer nur rumgemäkelt. Hängebusen und dies und das. Und ich finde, das ist für 77 Jahre alles ganz normal.
Mogli: Also schaust du nicht mehr so oft in den Spiegel, nicht weil du dich nicht schön findest, sondern weil es dir nicht mehr so wichtig ist.


Barbara: Es ist mir nicht einfach nicht so wichtig und ich vergesse es manchmal. Da merke ich dann Stunden später, dass ich noch Zahnpasta um den Mund habe, weil ich dann doch wieder in den Spiegel geguckt habe.


Mogli: Ich hatte lustigerweise anderthalb Jahre keinen Spiegel zu Hause. Ich hatte irgendwie gar nicht das Bedürfnis danach. Früher hatte ich immer das Gefühl, ich habe mich viel zu oft angeschaut, ein Spiegel verführt dazu, dass man sich anguckt. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte so viel mit mir zu tun, mit meiner Innenwelt und danach mit meiner Depression – ich hatte so viel zu lernen, dass mein Aussehen einfach nicht so relevant war auf einmal. Irgendwann habe ich dann in den Spiegel geschaut und gemerkt, dass ich mich mit Liebe anschaue. Also ich gucke mich wirklich nett an, was wenige Menschen machen. Weil ich mag, wer da steht. Weil ich jetzt stolz bin auf die, die da steht. Und das heißt, wenn ich in der Zeit, in der ich krank war und in der ich mich noch so gesucht habe, hätte ich nicht nett in den Spiegel geschaut. Und jetzt bin ich stolz auf mich, wie ich als Mensch bin. Ich sehe jetzt eine mutige Frau.
Barbara: Ich kenn so viele Frauen, die sich in jedem Schaufenster spiegeln und überprüfen. Wie furchtbar.
Mogli: Das habe ich aber früher auch gemacht. Es hat irgendwie ein bisschen süchtig gemacht, sich selbst immer selber zu bewerten. Aber das mag ich nicht mehr.




Welche Werte sind in der Gesellschaft verloren gegangen?


Barbara: Das Genießen können und sich Zeit lassen. Das aufeinander achten. Und es ist auch viel Liebe abhandengekommen.
Mogli: Das kann ich gar nicht gut beantworten, weil ich es nicht weiß.

Barbara: Das ist alles zu schnell geworden für mich, also Corona hat dafür gesorgt, dass es gemäßigter ist. Mir reicht ein kleiner Supermarkt, ich brauche keinen drei Mal so großen Supermarkt. Ich brauche nicht 50000 verschiedene Milchsorten.

Mogli: Du meinst, dass alles überreizt ist?


Barbara: Es fehlt die Wertschätzung für Kleinigkeiten.


Mogli: Ja, würde ich auf jeden Fall auf Gesellschaft bezogen zustimmen.


Barbara: Die gegenseitige Wertschätzung und aber auch die von Kleinigkeiten. Sich freuen an Minimalem, einer schönen Kerze oder so was.


Mogli: Ist interessant, weil eine der ersten Intuitionen, die ich für mein Kind hatte, war, einfach nicht so viel zu haben. Es gibt Leute, die machen das Kinderzimmer schnell fertig und ich habe nur entschieden, ich brauch ein Bettchen und eine Wickelkommode in der Wohnung und viel mehr brauch ich gar nicht. Ich brauche kein ganzes Zimmer mit Hundert Spielzeugen, es reicht doch auch wenn man nur ein paar hat. Ich spüre das ganz klar, dass ich keinen Bock auf diesen Überfluss habe.


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Was bewunderst du an mir?


Barbara: Dein Selbstbewusstsein.
Mogli: Ich bewundere an dir, wie viel Liebe du im Leben hast, also wie viele liebe Menschen du auch um dich scharrst. Es ist schon verrückt, wie viele Menschen da sind, wenn man zu einem Geburtstag von dir kommt. Vor allem bewundere ich, wie du mit Trauer umgehst. Weil du sie zulässt und dadurch gehst und dir nicht verbietest, traurig zu sein. Auch wie du um Opa getrauert hast und immer noch tust. An ihn denkst und dabei immer Wege findest, damit umzugehen und dir alleine ein Leben geschaffen hast, was dich glücklich macht.
Barbara: Es darf beides sein: Glück und Trauer. Komisch, nicht?


Was bedeutet Liebe für dich?

Barbara: Jetzt wird’s aber heftig. [lacht] Alles.
Mogli: Eine schöne Antwort. Was bedeutet Liebe für mich? Du hast die einzig richtige Antwort genannt. Weil erstens bedeutet sie für mich selbst alles und zweitens ist sie ja auch alles, was zählt. Nur darum geht’s.


Diese OMAge stammt von Mogli aus Berlin. Die Musikerin, Schauspielerin und Aktivistin ist ein Familienmensch, genau wie ihre Oma Barbara. Diese ist dank Mogli übrigens jetzt Urgroßmutter.

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Şeniz Tiryaki über Omas Rolle im Kurzfilm „Diaspora”

Kurzfilm „Diaspora” – nicht ohne meine Oma

„Anneanne bedeutete für mich schon immer einfach nur Frieden”


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„Diaspora” ist ein Kurzfilm, bei dem es um das Leben und Aufwachsen zwischen zwei Kulturen geht. Der persönliche Struggle, der Alltagsrassismus – aber auch die Bereicherung, die man erfährt, wenn man multikulturell aufwächst. Meine Gedanken dazu habe ich in einem Gedicht formuliert und dieses schließlich mit Hilfe dieses Kurzfilms untermauert. Ein wichtiger und bedeutender Teil in dem Kurzfilm ist das Gespräch mit meiner Oma. Am Anfang des Filmes reden meine Oma und ich darüber, dass ich mich nirgendwo so fühle wie bei ihr. Dieser Teil des Filmes ist vor allem für mich sehr emotional und wichtig, da er meine Gefühle so echt widerspiegelt.

Meine Oma bedeutete für mich schon immer einfach nur Frieden. Sie war der Safe Space meiner Kindheit. Ich war in meiner Kindheit fast jeden Tag bei ihr. Als ich krank war, war ich bei ihr. Hatte ich Sorgen, war ich bei ihr. Zudem bewundere ich meine Oma unglaublich für alles, was sie geschafft hat. Sie ist allein als junge Frau nach Deutschland gezogen und hat seit dem ersten Tag an hart gearbeitet. Ohne jemals in der Schule gewesen zu sein, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können und nur mit einem Koffer hat sie ein ganzes Leben in ihrer Heimat zurückgelassen, damit wir es besser haben können. Sie schuftete auf Spargelfeldern, hatte mehrere Jobs an einem Tag und war einfach eine Macherin. Sie konnte aus ein paar D-Mark und Ehrgeiz so viel schaffen.

Und dazu ist sie auch noch eine coole Oma. 

Diese OMAge stammt von Şeniz Tiryaki aus Bremen. Der Kurzfilm ist im Rahmen des TLNT&TLNT Mentoring Programms gemeinsam mit Mentorin Bianca Raeddler entstanden.

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Lena & Oma Hedi: Eine Frau, ihr Fahrrad und ihre knallrosa Jacke, die jeder und jede im Dorf kennt

Lena & Oma Hedi

Eine Frau, ihr Fahrrad und ihre knallrosa Jacke, die jeder und jede im Dorf kennt.


Oma, Opa, Mama & Lena – das war lange meine Vorstellung von Familienleben: Wir vier, eine Wohlfühloase. Meine Omi und mein Opi sind von je her ein fester und mit der wichtigste Bestandteil in meinem Leben. Ich bin so dankbar beide noch heute an meiner Seite zu haben. Oma und Opa, die beiden gibt’s für mich – zumindest in meinem Kopf – auch fast nur im Doppelpack und doch beide mit einer ganz unterschiedlichen Rolle in meinem Leben. Meine Omi, die moderne, warmherzige 82-Jährige. Eine Frau, ihr Fahrrad und ihre knallrosa Jacke, die jeder und jede im Dorf kennt. Wenn wir früher zu zweit auf dem Rad – erst ich bei ihr auf dem Gepäckträger, dann irgendwann mit meinen eigenen Rad – durch die Straßen unseres Dorfs gefahren sind, kam oft der Satz:

Hey Nana - Carina & Oma Elfriede

 „Ah Hedi, is des doi kleeni Lena?“

Ja, Hedis kleine Lena, die nach der Schule immer gern zu Omi nach Hause ist, die sich auf warmes Mittagessen bei Oma gefreut hat und die von Oma Hedi viel gelernt hat: Selbstlosigkeit, Liebe, mit 82 noch gefühlt Anfang 70 zu sein, aber auch die ständige Sorge, dass es den Liebsten nicht gut genug geht.

Oma Hedi setzt heute noch alles daran, dass es uns immer irgendwie gut geht und würde selbst immer zurückstecken, bevor es anderen nicht gut geht. Auf der einen Seite bewundere ich diese Selbstlosigkeit, auf der anderen Seite wünsche ich mir, dass sie sich selbst mehr Gönnen würde und sei es nur sich einmal in der Woche ‘nen großen Becher Eis.

Nie werde ich die stolzen Blicke meiner Omi vergessen: Sei es bei einer meiner Theateraufführungen, sei es bei meiner Bachelorverleihung als sie Tränen in den Augen hatte, sei es, als sie stolz im ganzen Dorf erzählt hat, dass meine erste Doku im Fernsehen läuft oder einfach nur bei einer meiner zahllosen Aufführungen im Wohnzimmer stolz klatschte. Dieser Blick und diese Liebe hat sich fest in meinem Kopf eingebrannt.

Ich bin mit meiner Oma – und natürlich auch meinem Opa und meiner Alleinerziehenden Mama – groß geworden und habe von allen so unfassbar viel Liebe erfahren. Wir vier, wir sind schon immer ein gutes Team gewesen und trotzdem habe ich oft ein schlechtes Gewissen, dass ich insbesondere Oma und Opa ihre bedingungslose Liebe gar nicht so zurückgeben kann. Primär, weil ich nicht mehr zu Hause in unserem kleinen Ort lebe und es irgendwie nicht öfter als einmal im Monat nach Hause schaffe und gerade von Oma weiß, dass sie sich das wünschen würde.

Trotzdem ist meine Liebe unendlich und ich hoffe, dass sie weiß, dass es nichts mit fehlender Liebe, sondern einfach mit Veränderungen und anderen Lebensmittelpunkten zu tun hat. Denn im Inneren bin ich immer noch die kleine, sommersprossige Lena, die bei Oma auf dem Schoß sitzt und mit ihr ihre Lieblingssendung „Wer wird Millionär“ schaut oder die Teenagerin Lena, die von Oma mit dem Auto mal auf einer Party abgeholt wurde – ja, weil meine Oma a.) einfach cool war und mich nachts abgeholt hat und b.) ja, weil sie selbstlos war/ist und Angst gehabt hätte, wenn sie’s nicht getan hätte.

Hey Nana - Carina & Oma Elfriede

Ich habe von meiner Omi viel gelernt und ich hoffe, dass sie das weiß und auch, wie dankbar ich bin, dass sie meine Mami und mich immer unterstützt hat und noch heute tut!


Diese OMAge stammt von Lena Nagel. Sie lebt in Mainz und arbeitet als Redakteurin bei Finally.Studio. Lena hat im Juni 2022 ihre ersten Doku-Beiträge „Programmierte Ungerechtigkeit” und „Liebe, Macht und Metaverse“ fürs zdf veröffentlicht. Klar, da ist Oma Hedi da so richtig stolz!

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Lena & Oma Resi & Oma Christel: „Die Liebe zu den Großeltern hat mich zum eigenen Unternehmen geführt”

Lena & Oma Resi & Oma Christel:

„Die Liebe zu den Großeltern hat mich zum eigenen Unternehmen geführt”


Ich habe das große Glück, mit 30 Jahren noch zwei wunderbare Omas an meiner Seite zu haben. Bis vor einem Jahr hatte ich sogar noch einen Opa dazu. Als bei ihm Demenz diagnostiziert wurde, kamen plötzlich viele neue Herausforderungen auf uns zu: Die gewohnte Art zu kommunizieren hat plötzlich zu Diskussionen geführt und durch die demenzielle Veränderung fiel es ihm immer schwerer, sich zu Hause zu orientieren. Dadurch habe ich mich intensiv mit dem Thema Demenz und Pflege auseinandergesetzt, habe das Internet durchforstet und viele Bücher gelesen. Ich habe festgestellt, dass das Wohlbefinden der Familie entscheidend für das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz ist – darum setze ich mich heute mit meinem eigenen Unternehmen JUPP für ein gutes Leben von Familien mit Demenz ein und entwickle Produkte für ein würdevolles Leben trotz Krankheit.

Aber um besser zu verstehen, warum mich die Liebe zu meinen Großeltern letzendlich zur Gründung führte, möchte ich etwas mehr von unserer Beziehung erzählen. Von Oma Resi und Oma Christel, von denen ich noch heute so viel lerne:

In meiner Kindheit habe ich sehr viel Zeit bei ihnen verbracht, denn die Eltern sind beide berufstätig. Damals waren mein Bruder und ich jeden Tag nach dem Kindergarten oder der Schule abwechselnd bei unseren Omas, denn auf dem Land gab es noch keine Nachmittagsbetreuung. Um ehrlich zu sein, als Kind wusste ich es nicht zu wirklich zu schätzen, dass wir so viel Zeit mit unseren Großeltern verbrachten und meine Mutter ihren Beruf weiter ausüben konnte. Ich habe die anderen Kinder beneidet, deren Mütter zu Hause waren und auf sie gewartet haben, wenn sie nach Hause kamen. Erst in den letzten Jahren habe ich verstanden, wie schwer es ist als Mutter Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Besonders wenn die Kinder krank sind oder die Betreuung aus pandemischen Gründen ganz wegfällt, ist Familie in der direkten Umgebung unbezahlbar.

Hey Nana - Lena & Oma Resi & Oma Christel

Meine beiden Omas haben in ihrem Leben viel und hart gearbeitet, um sich etwas aufzubauen. Das ist sicherlich ein Grund, warum es ihnen immer sehr wichtig ist, dass die Frauen in der Familie auch ihren eigenen Weg gehen und ihre Ziele verwirklichen.

Eine Geschichte aus der Kindheit meiner Oma Christel zeigt gut, wo sie gestartet ist und was alles in einem Leben möglich ist: Durch den Krieg war ihre Familie sehr arm und das Wenige, was es gab, musste sie mit ihren drei Geschwistern teilen. Eines Tages entdeckte sie einen Apfel auf der Straße – eine Besonderheit in diesen kargen Tagen. Als sie voller Vorfreude hineinbiss, verzog Christel das Gesicht und warf das wertvolle Lebensmittel im hohen Bogen weg. Was war passiert? Der Apfel war in Wirklichkeit eine Tomate und diese Fruchtgemüse kannte sie bis dahin noch nicht. Wir können uns sowas heute kaum vorstellen.

Christel und Resi sind mir Inspiration

Wenn es mir selbst an Vorstellungskraft mangelt, dann führe ich mir vor Augen, was meine Omas mit ihren Familien in ihrem Leben aufgebaut haben. Es zeigt mir, dass wir viel mehr erreichen können, als wir uns in diesem Moment vorstellen können. Es braucht nur Mut und den ersten Schritt in die gewünschte Richtung, auch wenn der Krieg einem Vieles genommen hat.

Meine Oma Christel ist übrigens die beste Verhandlungsführerin, die ich kenne. Sie schafft es sogar im Supermarkt durch ihre Bestimmtheit, Erfolge zu erzielen. Als Kind war es mir mehr als unangenehm. Wortlos zahlen ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und rasch wieder gehen – das wäre mir damals lieber gewesen. Christel spricht die Menschen freundlich an und tauscht sich offen mit ihnen aus. Sie ist mutig und hat keine Angst davor, zu sagen, was sie denkt. Die Menschen schätzen sie dafür sehr und geben ihre gerne etwas zurück. Oft bekommt sie mehr als sie möchte und dabei bleibt sie immer ihren Prinzipien treu und kann problemlos „Nein“ sagen und im Guten davon gehen. Dafür bewundere ich sie. Mit der Zeit konnte ich dank Oma auch meine Verhandlungsfähigkeiten verbessern.

Resi ist die ältere der beiden Omas. Mit ihren 92 Jahren ist sie noch immer vielseitig interessiert und lernt gerne dazu. Als ich zum Studium ins Ausland gezogen bin, hat sie sich ein Notebook zu Weihnachten gewünscht. Natürlich hat sie es bekommen und fleißig geübt. Sie hat gelernt wie Videoanrufe funktionieren, schreibt E-Mails und bestellt ihre Batterien fürs Hörgerät im Internet. Vor ein paar Jahren hat sie sich dann auch ein Smartphone gewünscht, damit wir ihr auch regelmäßig Bilder zusenden können und sie mit uns Textnachrichten schreiben kann. Diese lebenslange Lernbereitschaft bewundere ich sehr

Wenn es mal wieder eine neue APP gibt, die die „jungen Leute“ nutzen, ertappe ich mich beim Gedanken, dafür zu alt zu sein. Doch dann denke ich an meine Oma Resi.

Meine Omas achten immer wieder darauf, schöne Momente bewusst einzuplanen und die Zeit gemeinsam zu genießen. Egal wie spontan ein Besuch bei ihnen ist, sie haben immer etwas Leckeres im Haus und sorgen dafür, dass wir uns wohlfühlen. Wenn wir unterwegs sind, halten sie nach den schönsten Orten Ausschau, um dort gemeinsam Kaffee zu trinken oder einfach nur die Aussicht zu genießen. Auch hier haben sie keine Scheu davor, Menschen aktiv anzusprechen und nach Tipps zu fragen. Ich schaue da lieber in mein Handy und wäge akribisch Google-Bewertungen und Fotos ab. Die besten Spots sind bei meiner Strategie allerdings nicht garantiert – hier ist das geschulte Auge der Beiden und ihr Mut definitiv von Vorteil.

Auch ich achte immer mehr darauf, bewusst schöne Momente für meine Familie schaffen: Fahre sie in den Urlaub, wenn die Busfahrt zu beschwerlich ist oder plane ein langes Wochenende für die ganze Familie am Meer. Wasser hat auf beide Omas eine große Anziehungskraft und diese Leidenschaft habe ich wohl von den Beiden geerbt. Bei unseren Aktivitäten muss es sich gar nicht immer um eine große Fahrt handeln, die Beiden sind auch schon glücklich, wenn sie mit mir im Garten sitzen und ich keine Termine habe, sondern einfach da bin (ohne aufs Handy zu schauen).

Unsere gemeinsame Zeit ist wertvoll und wir sollten sie nutzen, solange wir können

Apropos wertvolle Zeit: Gemeinsam mit Corinna, meiner Mitgründerin von JUPP, unserem Team und vielen großartigen Tester*innen haben wir ein Achtsamkeitstagebuch entwickelt, was für die demenziell veränderte Wahrnehmung optimiert ist. Mit jeder ausgefüllten Seite von “HEUTE ist ein schöner Tag” werden Erinnerungen gesammelt und die Beziehung gestärkt. Es entsteht ein persönlicher Schatz und das strahlend gelbe Buch ist für Angehörige eine Inspiration für ein Gespräch oder eine schöne Aktivität.

Denn: Menschen mit Demenz haben mehr zu erzählen, als das Wetter oder das Mittagessen zu bewerten. Sie haben spannende Geschichten aus ihrer Jugend, die noch lange präsent sind. Für meinen Opa Michel war Skifahren und Langlauf mit vielen Erinnerungen verbunden. Die erste Reise nach Italien mit Oma auf ihrer Zündapp Bella hat er nie vergessen. Es ist ein magischer Moment, wenn ein Thema einen Menschen aufblühen lässt.

Oma Christel, Oma Resi: Danke, dass es euch gibt und dass ihr so gut auf euch achtgebt!

Diese OMAge stammt von Lena Schmidt aus Köln. Sie ist Co-Gründerin & Geschäftsführerin von JUPP und sorgt für Alltagslösungen und Design für Menschen mit Demenz. Hier könnt ihr JUPP bei Instagram abbonieren und hier den Newsletter bestellen.

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Sarah & Oma Lola: „Eine ewige Heldin der Liebe“

Sarah & Oma Lola:

„Eine ewige Heldin der Liebe“


Lola ist im Alter von 77 Jahren 2018 an Krebs gestorben, vor ihrem Tod hat ihre Enkelin Sarah Hölzl versprochen, die gemeinsame Geschichte mit der Welt zu teilen. Das Buch „Abschiedsgeschenk“ , in dem sie ihr größtes Vorbild ehrt, ist nun erschienen. Darin lässt Sarah ihre Gefühle in eine Reihe von Gedichten und Briefen fließen – auch für HeyNana hat die Österreicherin Zeilen verfasst, die diese besondere Verbindung, die selbst den Tod überwindet, beschreiben:

Lola und mich verbindet eine so tiefe Liebe. Ob das Glück ist? Bestimmt – aber ich bin davon überzeugt, dass unser Band vor allem deswegen so stark ist, …

  • weil wir uns die Zeit nahmen, es wie eine Blume zu pflegen und wie einen Schatz zu hüten;
  • weil wir uns einander alles anvertrauten – unsere Höhen und Tiefen, Ängste und Freuden, sogar jene Ecken und Kanten, die wir nicht für liebenswert hielten;
  • weil wir ehrlich unsere Gefühle und Bedürfnisse mitteilten und auch keine Scheu davor hatten, Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen;
  • weil wir uns gegenseitig inspirierten, unseren Glauben in uns selbst, das Leben und die Liebe zu stärken und
  • weil uns kein Berg zu hoch, keine Nacht zu dunkel, kein Sturm zu stark war, um füreinander loszugehen.
  • All das und noch viele weitere Puzzlestücke sind die Gründe dafür, warum uns jene unendliche Liebe verbindet, die sogar den Tod überdauert.

Hey Nana - sarah-oma-lola-eine-ewige-heldin-der-liebe

Ich wünschte, ihr hättet Lola kennenlernen können. Sie war ein so wundervoller Mensch. Eine wahre Mutmacherin, die mit ihrer Liebe unzählige Personen berührte. Vor allem auch mich.

Mit ihrer liebevollen Art ermutigte sie so viele von uns, das Leben selbst in herausfordernden Zeiten mit all seinen Facetten wertzuschätzen; unsere Herzen selbst in der größten Angst geöffnet zu lassen; Hoffnung zu bewahren, selbst wenn andere sie aufgeben und stets an die unglaubliche Kraft der Liebe zu glauben.

Hey Nana - Sarah & Oma Lola

Lola, weißt du, was ich mir wünsche?
Dass die Liebe auf dieser Welt
viel mehr Raum einnimmt.

Dass Menschen wieder stärker an die
Liebe glauben und den Mut finden,
eine so tiefe Verbindung wie die
unsere zuzulassen.

Denn die Liebe ist eines der größten
Geschenke, die uns das Leben macht.

Aber es liegt an uns, ob und vor allem
auch wie sehr wir es empfangen wollen.

Ich verspreche dir, ich werde mein Bestes
geben, selbst auch Tag für Tag noch
mehr Raum für die Liebe zu schaffen.

Denn so kann auch unsere Liebe
hier auf Erden noch viel weiterreisen.

In Liebe,
Sarah

Diese OMAge stammt von Sarah Hölzl. Sie ist Mental- und Ernährungscoach, Vortragende und arbeite mit Privatpersonen und internationalen Unternehmen in den Bereichen Wirtschaft, Sport, Kunst und Gesundheit.

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Sarah & Oma Margit: „Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede“

Sarah & Oma Margit:

„Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede“


Mit meiner Omi ist das Leben leicht: Es gibt Sekt zum Frühstück, Kaffee bis zum Herzflattern, Erdbeereisbecher oder ‚Man gönnt sich ja sonst nix‘, Geschichten aus den goldenen 70ern und Heimatgefühl.

Am Silvesterabend des letzten Jahres sitzen wir in tiefen Sesseln vor einer 70er Chart Show, dessen Lieder durch die riesigen Kopfhörer in die Erinnerungen meiner Oma dringen. Süßer Wein zu meiner Linken, süßer Pfannkuchen zu meiner Rechten – ich nicke mit vollem Mund zu den ausschweifenden Erzählungen aus ihren schönsten Jahren. Damals war sie in ihren 30ern, genau wie ich jetzt. Wenn ich die Augen schließe, kriecht die Erzählstimme meiner Oma gemeinsam mit Vicky Leandros in mein Ohr. Dort tanzen sie die ganze Nacht unter schwankenden Kronleuchtern, mit Schaumwein und natürlich: meinem Opa.

Ab und zu vermischt sich dieses Bild mit meinem eigenen. Viele sagen, ich sähe meiner Omi sehr ähnlich. Das ist eines der schönsten Komplimente für mich.

Hey Nana - Sarah & Oma Margit

Sie ist fast 80 und strahlt in ihrem stets durchdachten Auftreten durch den Raum. Sie ist unaufdringlich adrett und ich stelle mir vor, dass es genau dieses Wort war, mit dem man sie schon immer beschrieb: adrett.

Ihre Hintergründe liegen in einer Zeit, in der diese Äußerlichkeiten unweigerlich mit der konservativen Rolle der Frau in der Gesellschaft verbunden waren. Uns prägen unterschiedliche Epochen. In ihrer kamen keine Löcher in den Hosen, ungebügelten Hemden oder Tattoos vor. Stattdessen sieht man an mir eher keine hohe Schuhe, Röcke oder Fönwellen.

Sie heiratete mit 18, wurde Mutter mit 24, Oma mit 46. Den Aufgaben im Haushalt widmete sie sich gern neben ihrer Arbeit. Jeden Tag kümmerte sie sich um Frühstück, Mittag, Abendessen und den Abwasch. Die Männer gingen Fußball oder Skat spielen. Sie lacht, wenn sie sagt: „Dein Opa wäre über den Müll eher noch gestolpert.“ Dass ich diese klassische Verteilung nicht anstrebe, keine Kinder und vor allem nicht jeden Tag für jemanden kochen möchte, akzeptiert sie als Teil meiner Realität. Unsere sichtbaren Kontraste verbinden sich auf der Ebene der Zugewandtheit.

Sarah & Oma Margit - Hey Nana

Für sich selbst betreibt sie nicht mehr so einen Aufwand beim Gerichte zaubern. Hier reicht manchmal auch eine Bockwurst oder ein Kaffee. Nur, wenn ich da bin, gibt es einen Kühlschrank voller veganer Sachen, die sie gern zusammen mit mir probieren möchte. In ihrer Warmherzigkeit fühle ich mich Zuhause. Bei ihr bin ich nur dann erwachsen, wenn ich das Internet besser zu bedienen weiß, um ihr neue Bücher zu bestellen. Wälzer aus dem viktorianischen Zeitalter lassen sie davon träumen, wie es ist, selbst in einem Schloss zu leben und Tag für Tag aufwendig verzierte Kleider zu tragen. Das Geschriebene übt auf uns beide eine Faszination aus, für mich sind es vornehmlich Klassiker von Hermann Hesse oder Silvia Plath.

Am Abend des 02. Juli diesen Jahres sitzen wir in tiefen Kissen auf der Veranda eines Bücherhotels, dessen Scheune über 100.000 Titel beherbergt. Erdbeereisbecher zu meiner Linken, Kaffeetasse zu meiner Rechten – ich lausche mit vollem Mund den Worten über meine schwangere Schwester. Wenn ich die Augen schließe, kriecht die warme Luft gemeinsam mit meiner ältesten Erinnerung in meine Gedanken: Ich stapfe als kleines Mädchen in den hohen Sandalen meiner Oma mit grünem Wildleder durch den Sommer. Sie wirbelt durch das sonnendurchflutete Haus, dessen Tür immer offen steht.

In diesem Moment klingelt mein Telefon und die Stimme meiner Schwester legt sich auf meine volle Lunge. „Ihre Fruchtblase ist geplatzt“ stoße ich aus und wir können die ganze Nacht nicht schlafen. Zwischen all den Freudentränen, Bücherstapeln und Augenringen stoßen wir am nächsten Morgen an und meine Oma sagt: „Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede.“

Hey Nana - Sarah & Oma Margit

Und ich bin mir sicher: Auch der Kleine wird bei meiner Omi sein können, wer er will. So wie ich bei ihr sein kann, wer ich bin.

Diese OMAge stammt von Sarah Bergmann, sie ist 33, lebt in Berlin und veranstaltet Festivals mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Awareness. Sie hat den Verein Act Aware e.V. 2020 gegründet, der sich gegen Diskriminierung und Grenzüberschreitungen auf Veranstaltungen engagiert. Außerdem gibt sie Workshops zu diesen Themen und besonders am Herzen liegen ihr Female Empowerment und New Work. „Ich glaube, das gegenseitiges Verständnis und Perspektivenvielfalt der Schlüssel zu einem schönen Miteinander sind“, sagt Sarah. In ihrer Freizeit schreibt sie Gedichte unter dem Pseudonym Sæm Mænder.

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