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Autor: WebCreator

Joyce & Oma Karin: „Am liebsten würde ich sie zu Hause betreuen, sie hat mich als Kind auch über Jahre bei sich gehabt“

Joyce & Oma Karin:

„Am liebsten würde ich sie zu Hause betreuen, sie hat mich als Kind auch über Jahre bei sich gehabt“


Normalerweise sehen wir uns mindestens alle zwei Wochen. Doch wegen der Corona-Pandemie habe ich das Seniorenheim zum Schutz meiner Oma und den anderen Damen und Herren seit Ende Oktober nicht mehr betreten. Sie nicht zu sehen, schmerzt mich sehr. Natürlich habe ich Angst, sie kein weiteres Mal in die Arme schließen zu können…

Meine Oma ist 78 Jahre jung und hat meine Mama mit 20 Jahren bekommen. Karin ist auf dem Bauernhof in Altenberga Thüringen aufgewachsen und sie lebt für gutes Essen. Also bringe ich normalerweise bei meinen Besuchen tolle Bio-Lebensmittel mit und wir reden. Da das ja jetzt wie gesagt ausfällt, bleibt mir nur, sie auch heute an ihrem Geburtstag anzurufen. Von diesem, unserem letzten, Telefonat will ich hier erzählen:

 

Hey Nana - Joyce & Oma Karin

An ihr Handy geht sie schon seit einem Jahr nicht mehr, also klinge ich im Altersheim durch. Ich habe ihr auch einen kleinen Geburtstagsbrief geschrieben, der ist aber noch nicht angekommen. Als ich ihre Stimme am anderen Ende der Leitung höre, schießen mir gleich die Tränen in die Augen –  genauso wie jetzt, während ich diese Zeilen über sie, über uns, schreibe.

Natürlich will ich positiv bleiben und versuche mir meine Emotionen am Telefon nicht anmerken zu lassen. Ich meine zu ihr, dass ich mich sehr auf unser nächstes Treffen freue und selbstverständlich ganz viel Bio-Obst und -Gemüse, sowie ihren Lieblings Bio-Pflaumen-Streusel-Kuchen mitbringen werde…

Das mit dem Essen ist echt so ein großes Thema: Meine Oma, eine ehemalige Chemikerin und Restaurantbesitzerin ist not amused bezüglich der gezuckerten Fertigprodukte und dem heutigen Brot, welches für sie kein Brot ist. Jedesmal wenn ich Karins Lebensrealität im Seniorenheim rund um das Essen und die Enge mit anderen Senior*innen, das unterbesetzte Personal und die wenigen Grünflächen zum Spazierengehen sah, weinte ich. Am liebsten würde ich sie verwöhnen und zu Hause betreuen, sowie sie mich als Kind über Jahre bei sich zu Hause großgezogen hat. Meine jetzige Wohn- und Arbeitssituation lässt das jedoch nicht zu.

Aber zurück zum Geburtstagstelefonat: Meine Oma ist am Telefon positiv und dankbar über meinen Anruf. Am Ende meint sie zu mir. „Bei allem was dir nicht gut tut: Einfach mal den Finger heimlich zeigen!“ Und das ist es auch, was sie mir schon immer mit auf den Weg gab und was ich auch heute wieder von ihr lerne: sich nicht unterkriegen zu lassen!

Dankbar bin ich, dass ich sogar noch zwei Omas habe und zudem noch das Glück hatte, meine Uromas gekannt zu haben. Ich habe so viel von den Frauen in meiner Familie gelernt.

Joyce & Oma Karin

Diese OMAge stammt von der Berlinerin Joyce Binneboese , sie ist Mitgründerin des Schmucklabels WALD Berlin. Joyce beschreibt sich als „Well-being Enthusiast“ und arbeitet außerdem als Moderatorin und Model.

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Rena & Oma Käthe: „Sie backt für die Enkel vegane Plätzchen in Schweinchenform”

Rena & Oma Käthe:

„Sie backt für die Enkel vegane Plätzchen in Schweinchenform”


„Bei Oma schmeckt’s am besten“ – was für eine ausgelutschte Phrase! Inflationär verwendet auf Seiten wie Chefkoch.de oder auf in Comic Sans bedruckten Küchenschürzen, die man einen Tag vor Weihnachten auf Amazon bestellt. Außerdem ist der Satz in meiner Familie nicht ganz wahr. Das liegt allerdings nicht an meiner Oma, die wirklich sehr lecker kocht, sondern an ihren linksalternativen Nachkommen, die in den letzten Jahren fast alle von einer vegetarisch-veganen Welle erfasst wurden. Und seitdem Omas krustigen Braten verschmähen. Trotzdem oder gerade deswegen erzähle ich die Geschichte von meiner Oma und mir anhand von Essen. Unsere Verbindung, über zwei Generationen und 56 Jahre hinweg, ist stark damit verwoben.

Hey Nana - Rena & Oma Käthe

Meine Oma ist Bäuerin. So ist sie aufgewachsen, so ist sie bis heute. Ohne ihren Gemüsegarten und ihre Handvoll alten Hühner geht es nicht. Als Kind und Jugendliche war ich damit aufgrund diverser Umstände wenig in Berührung gekommen, doch das sollte sich im Erwachsenenleben ändern: Das erste Mal arbeiteten wir zusammen auf ihrem kleinen Kartoffelfeld, als ich nach meinem Masterabschluss leicht orientierungslos bei ihr und meinem im selben Haus wohnenden Papa strandete. Mein entschleunigter Alltag lief wie folgt ab: Vormittags Kartoffelkäfer und Larven klauben, nachmittags Bewerbungen schreiben. Na ja, oder so ähnlich. Weder dauerte die Käferaktion den ganzen Vormittag, noch bewarb ich mich die vollen restlichen Stunden des Tages. Aber reden mit Oma, das tat ich in der Zeit so viel wie nie zuvor. Über ihre Flucht aus Siebenbürgen im Alter von zehn Jahren, die sie bis heute stark bewegt. Über die Liebe früher und heute. Über Sexualaufklärung…

Immer wieder erinnert sie mich in unseren Gesprächen an unsere gemeinsame Saison des Kartoffelkäferklaubens. Jeden Frühling seitdem – in den Folgejahren saß ich immer in einer anderen Stadt oder gar am anderen Ende der Welt – vermisst sie mich zwischen ihren Kartoffelpflanzen. Und ich sie – egal, wo ich bin.

Als zu jener Kartoffelzeit einige Bewerbungen erfolglos blieben, sagte mir Oma mit einem verschmitzten Grinsen, ich könne mich ja auch an einer Haushaltsschule einschreiben. Google verriet: So was gibt’s tatsächlich. Unterrichtsthemen sind zum Beispiel Familienmanagement, Gestecke und Kränze, Pflege des bäuerlichen Brauchtums. Das klang so altmodisch, dass ich es fast schon wieder gewagt gefunden hätte, daran teilzunehmen. Doch natürlich war es das Gegenteil von allem, was ich sonst mit Mitte 20 veranstaltete: Master in England, Reisen durch Lateinamerika, frisch verliebt in einen Kolumbianer. Dass Oma das alles auch nicht ganz verkehrt fand, merkte ich an ihren Fragen und den sämtlichen aufbewahrten Postkarten von mir an ihrem Vitrinenschrank. 

Mehr als mich in eine konservative Vorstellung zu pressen, wollte mich meine Oma vermutlich einfach ein bisschen aufziehen. Sie ist nämlich nicht nur eine Meisterin in Zubereitung von Braten, sondern auch in dem, was man im Internetdeutsch roasten nennt. Meine Geschwister und ich kriegen ihren Humor immer wieder ab – mal knallhart, mal subtil. Als mein Bruder Veganer wurde, stand Oma vor einer unerwarteten Herausforderung beim alljährlichen Plätzchenbacken. Den Enkel ohne Plätzchen gehen lassen? Undenkbar. Sie lernte kurzerhand, mit damals knapp 80, ein veganes Rezept. Und stach den Teig „ganz zufällig“ in Form von Schweineköpfen aus.

Damit war sichergestellt: Die Nachfrage an ihren Plätzchen würde nie sinken. Seit einigen Jahren erzählt sie mir Herbst für Herbst: „I glaub, dieses Jahr mach i koane mehr”. Kurz vor Weihnachten ist ihre Speisekammer jedes Mal voll mit einer Vielzahl großer Schüsseln. Darin: Marmeladenplätzchen, Vanillekipferl, Nussmakronen. Und die vegane Sonderversion. Was bleibt ihr auch übrig? Zwar hat sie sich letzten Advent als erfahrene Teleshopperin das Plätzchen-Set irgendeines Fürsten auf QVC bestellt, dann aber ein hartes Urteil gefällt. „Des wor nix Gscheids. Da schmeckn meine doppelt so gut. Oder zehnmal so gut!” 
Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Außer an dem Tag, an dem sie die Zimt- mit der Chilidose verwechselte und der Geschmack etwas… anders ausfiel.

Auf der entsprechenden Schüssel stand dann in ihrer geschwungenen, leicht zittrigen Schreibschrift: scharfe Plätzchen.

Als ich eineinhalb Jahre nach der Kartoffelzeit beschloss, meinen inzwischen angetretenen Vollzeitjob in Berlin wieder zu kündigen, um in Kolumbien meine große Liebe zu heiraten und vorerst dort zu bleiben, war von Omas Sticheleien Richtung Haushaltsschule kein Hauch mehr zu spüren. Stattdessen war sie erschrocken. Sie fragte: „Jetzt ziehst du da hin und bist einfach… Ehefrau?“ 

Eigentlich weiß ich, dass meine Oma es gut findet, dass ich mein Ding mache. Einmal verriet sie mir, eine Ausbildung als Friseurin oder Schneiderin hätte sie, die viel Wert auf Mode und Stil legt, sehr interessiert. Stattdessen musste sie früh als Magd auf Bauernhöfen anheuern. Ich versicherte ihr, dass ich auch in Kolumbien Arbeit und Projekte haben würde und mein Partner und ich uns die Arbeit gleichberechtigt aufteilen. Das schien sie zu beruhigen.

Letztlich ist Oma auf ihre Art Feministin, auch wenn sie es vielleicht nicht so nennt

Sie versteht nicht immer, was wir Enkelinnen und Enkel machen, aber sie steht hinter uns. Sie ist selbstbewusst, schlagfertig und lässt sich definitiv keinen Mist erzählen. Mit 87 fährt sie mit ihrem feuerroten Auto durch die Gegend. Den Heckaufkleber der Vorbesitzenden hat sie dran gelassen. Darauf steht, das O mit Teufelshörnern geschmückt: H O T.

Meine Ehe wurde so glücklich, wie ich gewusst und meine Oma gehofft hatte. Seit sie meinen Mann näher kennengelernt hat, behandelt sie ihn wie ihren eigenen Enkel – und er liebt seine „Oma“. Als wir diesen Januar zurück nach Deutschland zogen, war die Besuchslage durch die Pandemie erschwert. Doch immerhin: An ihrem 87. Geburtstag hatte sie die erste Corona-Impfung und wir zwei PCR-Tests hinter uns. So konnten wir kurz mit Maske ihr Geschenk übergeben. Keine geschmacklose Schürze, sondern etwas, das ihrer Eleganz würdig ist: Smaragd-Ohrringe aus Kolumbien. Sie trägt sie seitdem täglich.

Diese OMAge stammt von Rena Föhr, sie ist Gründerin von CHICA CON CICLO, einem Online-Angebot rund um Zyklusgesundheit. Durch journalistischen Content, Coachings und Onlinekurse wird dort die systematische Körperbeobachtung von Zervixschleim, Aufwachtemperatur und weiteren Zykluszeichen vermittelt. Ziel ist, körperliche und emotionale Schwankungen zu verstehen und dadurch das Wohlbefinden zu steigern. Auch über die Menstruation hat Rena bereits mit ihrer Großmutter gesprochen. Diese Erfahrungen im Internet für alle lesbar zu machen, war Oma Käthe aber leider zu suspekt. Was die Enkelin natürlich respektiert. 



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Henrike & Oma Inge: „Sisterhood ist heute ein Buzzword, aber sie hat’s schon immer gelebt”

Henrike & Oma Inge:

„Sisterhood ist heute ein Buzzword, aber sie hat’s schon immer gelebt”


Meine Nana nenne ich schon immer Großmutti, in den letzten Jahren auch mal Oma. Eigentlich heißt sie ja Ingeborg Emma, kurz Inge, und im April 2020 ist sie 100 Jahre alt geworden. Corona hat der runden Geburtstagssause allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht, gratuliert wurde dieses Jahr also nur telefonisch. Inge war eigentlich ganz froh, denn„wenn dann der Bürgermeister und der Pfarrer und wer weiß noch wer kommt, dann gerate ich ja richtig in Stress“, sagte sie mir. Außerdem seien so die vielen Fläschchen Likör verschlossen geblieben. Darüber war sie insgeheim auch recht froh. „Wer denkt denn bei allem Verstand, dass ich mir mit 100 Jahren hier mehrere Flaschen Likör einverleibe?“

Geboren zu Beginn der Goldenen Zwanziger hat meine Großmutti in einem Jahrhundert allerhand erlebt. Und oft fragen sich ihre vier Enkelinnen, was da noch so alles in dem Kopf an Erinnerungen stecken muss…

Hey Nana - Henrike & Oma Inge

Da ich mich beruflich viel mit Female Empowerment beschäftige und mich im Bereich PR auf starke Frauen und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit konzentriere, habe ich überlegt, wie ich unsere Oma und ihre Werte in meinem Kosmos verorte. Und die Antwort ist ganz klar: Ich sehe unsere Großmutti als Role Model, wie man heute so schön sagt.

Nach dem Abschluss der Schule hat sie eine Ausbildung zur Dentistin (heute Zahnärztin) begonnen und ist dafür jeden Tag von Lübeck nach Hamburg gefahren. Aber dann kam der Krieg dazwischen und sie musste ihren Berufswunsch leider aufgeben. Alles erst mal auf Null in Sachen Karriere – bis sie dann den Opa kennenlernte. Der war schon Artzt und kurzerhand organisierte Inge seine Praxis. Sie begleitete außerdem Hausbesuche und kümmerte sich stets um die Bücher. So stöhnt sie noch heute, wenn ich ihr sage, dass die Steuererklärung wieder ansteht – sie erinnert sich nämlich zu gut daran, wie sie immer mit dem Finanzamt zu schaffen hatte. Dass die Frau die Buchhaltung eigenverantwortlich regelt, war zu ihrer Zeit auch nicht gerade Standard. Ich bewundere sie sehr dafür, dass sie schon immer eine Macherin war, immer voll berufstätig.

Und noch was: Sisterhood ist heute oft nur ein Buzzword, aber Inge hat’s schon immer gelebt. Obwohl sie wahrscheinlich gar nicht weiß, dass es dieses Wort überhaupt gibt. Unsere Oma hatte zwei Schwestern, mit denen sie immer eng verbunden war, ihre jüngere Schwester ist nach San Francisco ausgewandert und selbst da hielt sie den Kontakt aufrecht – zu dieser Zeit auch nicht Standard, ohne Handys und Internet, ihr wisst schon. Und die Wichtigkeit des Schwesterbunds gab sie an ihre beiden Töchter weiter. Das Power-Duo ist ein Jahr auseinander, ist in eine Klasse gegangen, hat zusammen Abitur gemacht. Anschließend zog es die Beiden in eine WG nach Bonn zum Studieren. Bis heute sind sie sich die besten Freundinnen.

Vor allem um Rat fragen und Rat geben ist bei uns in der Familie sehr gefragt. Das ist auch auf meine Schwester Analena und mich übergegangen, unser Verhältnis ist genauso eng. Ja, es ist toll zu sehen, wie wir die Werte unserer Oma weiterleben und es bedeutet Inge auch sehr viel, dass sich die Sisters bei uns in der Familie so nahestehen.

Ney Nana - Henrike & Oma Inge

Das bedeutet auch, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Beim letzten Besuch bei meiner Oma habe ich mit ihr Bücher aussortiert und über eine App verkauft. Ziemlich begeistert trug sich das wie ein Lauffeuer durch die Familie. Meine Tante rief mich an und wollte wissen, was ich denn da genau gemacht habe. Für den nächsten Besuch hat Oma schon angekündigt: „Ich habe schon wieder ganz viel aussortiert für dein Handy“.

Wir gehen davon aus, dass wir dann im nächsten Jahr den 101. Geburtstag feiern, da hier bestimmt noch ein neuer Familienrekord aufgestellt wird. Der liegt bis jetzt bei Tante Ida mit 103. Wenn meine Oma dann manchmal sagt „das geht nicht mehr lange gut“, hab ich seit Jahren eine fröhliche Antwort für mein Sisterhood-Role-Model: „Ach, das hast du mit 95 auch gesagt…“

Hey Nana - Henrike & Oma Inge

Diese OMAge stammt von Henrike Redecker. Sie macht Frauen und deren Mission sichtbar, begleitet und berät in Sachen PR und Öffentlichkeitsarbeit.

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Jule & Oma Klara: „Ich rufe sie von Bali aus an, ungefähr alle zwei Wochen über Skype auf ihr Festnetz“

Jule & Oma Klara:

„Ich rufe sie von Bali aus an, ungefähr alle zwei Wochen über Skype auf ihr Festnetz“


Meine Omi, Klara Waibel, frische 95 Jahre alt, ist bis auf einen abnehmenden Hörsinn noch unglaublich fit und fidel. Ihren Mann, meinen Opi, hat sie zu früh verloren. Heute lebt sie mit 95 immer noch relativ unabhängig in ihrem Haus, die Söhne sind jedoch in unmittelbarer Nähe zum Unterstützen. Unser Austausch ist mir sehr wichtig und seit geraumer Zeit nehme ich unsere Skype-Gespräche auf. Ich will so viel noch von ihr wissen, so viel lernen – von der Frau, die es nie ganz leicht im Leben hatte, und doch eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlt. Ich fasse zusammen: 1925 geboren, älteste Tochter von Landwirten mit sechs Geschwistern, herangewachsen auf einem Bauernhof zur schlimmsten und prägendsten Zeit ihres Lebens, der Nazizeit. Sie hat früh gelernt, mit anzupacken und ihre eigene Bedürfnisse für das Allgemeinwohl hinten anzustellen.

Hey Nana - Jule & Oma Klara

Beschwert hat sie sich nie und ist in meinen Augen die gutmütigste und barmherzigste Person, die ich kenne. Selbstlos, schlau und unglaublich fleißig.

Ney Nana - Oma Klara

Das Telefon klingelt, Klara hört es erst spät. Als sie abnimmt, erzählt sie, sie wäre gerade im Garten gewesen und, dass der Herbst nun allmählich einkehre. Sie fragt, wie es uns so ginge. Denn drei ihrer Enkel – also meine zwei Brüder Benno und Carlo und ich – sind seit ungefähr sieben Monaten auf Bali „gestrandet“, zum einen wegen Corona und zum andere aber auch, weil wir von hier aus arbeiten. Carlo musiziert, Benno organisiert und ich male. Das hat Klara verstanden und auch, das wir spätestens an Weihnachten wieder zuhause sind. Sie erzählt, dass die Kinder meiner Schwester immer größer würden und dass es schön sei, sie aufwachsen zu sehen, eine neue Generation. Perfekter Zeitpunkt, um nun die erste Frage zu stellen, die ich mir für diesen Hey-Nana-Beitrag notiert habe – und mir bereits unter den Fingernägeln brennt.

Was hat sich in den letzten Generationen für dich geändert? Was kann meine Generation von deiner lernen?
Weißt du Jule, bei uns hat sich so viel geändert. Von unserer Kindheit an bis über die Zeit deiner Eltern, da hat sich sooo viel geändert – und so viel darf sich in und nach eurer Generation nicht mehr ändern, sonst ist die Umwelt komplett kaputt.

Du meinst, es wird für die Erde immer schlimmer?
Das Heute hat viele Vorteile, aber für die Natur viele Nachteile. Ich hab schon oft zu deinem Vater gesagt: ‘Unsere Generation hat die Umwelt nicht kaputt gemacht, das ist erst seit der Industrie, das der Abfall und alles so gewachsen ist. Seither geht es mit der Natur abwärts.’ Es hat also alles seine zwei Seiten.

Ja, das sehe ich auch so. Die Vor- und Nachteile unserer heutigen Welt. Wärst du gerne nochmal jung?
Ich möchte jetzt nicht mehr jung sein. Ich bin froh, dass ich so alt geworden bin und ja, auch einfach jetzt alt bin. Wir hatten unsere Zeit, wir passen nicht mehr hier her. Zumal auch viele meiner Generation nicht mehr leben. Es leben einfach nicht mehr viele, wenn man so alt ist.

Wenn alle Freunde und Geschwister langsam wegsterben… Fühlst du dich einsam?
Nein, ich hab ja noch euch, die Familie. Aber wenn man keine gute Beziehung zu den Enkeln und den Kindern hat, dann ist man verlassen. Also wenn man so alt wird. (lacht)

Was können die Jungen von den Alten lernen?
Also was ich immer sage, Jule, ist: Ihr hattet in eure Kindheit bzw. in eurem Leben nie sparen müssen. Ihr hattet viel und manches auch im Überfluss. Zumindest war immer etwas da. Und wenn da mal eine schlechte Zeit kommen würde, das sage ich immer, da würden die jungen Leute sich sehr schwer tun, weil sie es nicht gelernt haben. Wenn man alles gehabt hat, dann fällt es einem eben schwer, darauf zu verzichten.

Und noch was ?
(Überlegt eine Weile) Ja, man muss zufrieden sein… Und zueinander gut sein, und das seid ihr ja auch. Und vielleicht den Herrgott auch nicht vergessen.

Den Herrgott, ja…?
Ja! (lacht) Der steht über allem. Und der passt auf euch auf. Ich bete jeden Tag für euch und glaube, dass das auch einen Einfluss hat. Und wer hätte gedacht, dass ein Virus die ganze Welt auf den Kopf stellt und die Industrie und alles durcheinander bringt? Im 21. Jahrhundert, da sind doch alle so klug und gescheit, selbständig und können alles. Aber daran muss man auch denken. Das man nicht immer alles selbst regeln kann, dass es auch Dinge gibt, die über dem Alltag und über der ganzen Zeit in der wir leben, stehen. So was war ja noch nie?! Jule, du wirst lachen, … ach – jetzt hören wir auf!

Nein Oma, ich find es voll interessant!
Das bereden wir wann anders. Wie spät habt ihr denn? Ist es schon abends?

Ja, wir sind sechs Stunden voraus. Es ist halb fünf am Abend.
Bist du denn alleine? Sind dein Brüder in deiner Nähe?

Die beiden wohnen nicht weit entfernt von mir, aber ich bin gerade alleine in meinem Atelier und male.
Ach, toll! Du hast ja bald eine Ausstellung, hat mir deine Schwester erzählt, dann bist du also auch in Bali schon eine Künstlerin. Eine internationale Künstlerin. Gut (lacht). Mensch, was wir für Künstler in der Familie haben!

Oma, du bist doch auch ‘ne Künstlerin! Du bist doch so gut im Schreiben!
Ich hab das aber nicht gelernt. Das, was ich kann, ist die Erfahrung vom Leben, mehr nicht. Meine Mutter hatte zu mir gesagt, später als ich über zwanzig war und auf dem Hof nicht mehr so gebraucht wurde, jetzt kannst du ja einen Beruf lernen. Da wollte ich dann aber weiter arbeiten, etwas verdienen, das man auch was hat. Und damals war es auch nicht so mit Kindergärten und allem, da waren die Frauen halt zuhause mit den Kindern und die Männer haben gearbeitet. Das kam erst später mit der Industrialisierung und in der Stadt, das Frauen und Männer beide arbeiten gegangen sind. Aber in der Landwirtschaft, da kam man nie auf die Idee… weil man gebraucht wurde.

Unsere andere Omi hatte ja einen Beruf gelernt. Sie war Lehrerin, wie der Opi und sie lebten am Stadtrand mit ihren Töchtern, alle konnten studieren, das war anders als bei euch im Dorf. Was hättest du studiert, wenn du die Möglichkeit gehabt hättest?
Ich hätte etwas mit Handarbeit gemacht. Handarbeitslehrerin oder Berufe, in denen man mit den Händen etwas erschafft. So wie du das auch machst, das hätte mir auch gefallen.

Ich bin auch sehr dankbar, dass ich das tun kann. Es liegt also ganz viel am familiären Hintergrund, welche Möglichkeiten man hat?
Der Herr Professor hatte mich damals auch gefragt, was ich studiert hätte, wenn ich seine Tochter gewesen wäre und aus solchen Kreisen gekommen wäre, und ich habe ihm damals ohne Nachdenken geantwortet: Schriftstellerin! Damals in der Nachkriegszeit hatte es sooo viele Schicksalsschläge gegeben, da hatte man sich viel damit beschäftigt, darüber hätte ich geschrieben. Und weißt du was, Jule, der Professor hat mich damals nicht ausgelacht.

Also du hättest gerne über den Krieg geschrieben? Deine Erfahrungen und Erlebnisse, die dich geprägt haben?
Ich hätte gern, ja! Aber ob das jemand gelesen hätte, ist eine andere Frage. (lacht)

„Jule, ich bin eine alte Frau. Ich habe künstlerische Enkel, da kann ich doch sehr zufrieden sein. Ihr hattet gute Gelegenheiten, euch zu verwirklichen“

Aber du musstest auch kämpfen und auf vieles verzichten, als du damals 5 Jahre in London gelebt und studiert und nichts verdient hast und alles so teuer war. Das war schon auch eine schwere Zeit, nicht wahr?

Das stimmt. Es war nicht einfach. Aber ehrlicherweise auch eine der schönsten Zeiten meines Lebens – sehr intensiv und hart, aber schön, weil ich genau das machen durfte, was mir am Herzen lag. Gestalten, kreieren, Design, Kunst.
Und dein Ehrgeiz und Fleiß waren groß genug, dass du die Jahre durchziehen konntest. Der Fleiß hat sich ausgezahlt.

Ja, der waiblerische Fleiß und die künstlerische Ader der Maiers Familie. Was haben denn deine Eltern gearbeitet?
Der Bruder meiner Mutter war Studienrat, die Schwester war Lehrerin in Stuttgart, doch die Nazis hatten das Institut verboten. Mein Vater war Bauernkind, sein Vater hatte noch Pferde und eine Kutschen. Da wurde man im Winter mit der Schlittenkutsche zum Bahnhof geführt.

Kaum mehr vorzustellen. Und das ist gerade mal vier Generationen her.
Man hatte noch Knechte, weil es die ganzen Maschinen, die es heute gibt, noch gar nicht gab. Und da war auch das Fleisch noch gut, weil die Tiere besser gehalten wurden und man nicht so viel konsumiert hatte. 100 Ferkel im Stall oder Hühner, das hätte sich kein Bauer getraut… Also die Tiere tun mir schon leid heute, das ist schlimm. Da geht es allein um’s Geld. Das war früher auch nicht so.

Du sagst es, Oma. Die Tierhaltung, unsere Erde, was ist nur passiert? Das ist auch der Grund, warum ich vegan geworden bin. Würdest du sagen, früher war alles besser?
Das kann man so nicht sagen. Immerhin hatten wir ja auch die Nazizeit, die zwölf Jahre gedauert hat und den große Krieg usw. Da kann man von besser nicht reden.

Das muss eine schlimme Zeit gewesen sein…
Die, die den Mund aufgemacht haben, sind an die Fronten geschickt worden. Es war keine ehrliche Zeit. Keine Demokratie und nichts durch Hitler … Aber Jule, jetzt hören wir auf. Sag bitte viele Grüße an deine Brüder und passt auf euch auf. Und kommt bald wieder. Dass wir uns nochmal sehen.

Na klar, Omi. Wir kommen bald.
Bali ist schon eine schöne Insel. Ich habe letztens im Fernsehen etwas darüber gesehen. Eine richtige Südseeinsel.

Ja, es ist wirklich sehr schön hier. Das Meer, der Dschungel, die Reisfelder. An welche Orte bist du denn schon in deinem Leben verreist?
Zum Urlaub machen? Also wir waren meistens in Österreich, im Gebirge. Und dann war ich einmal in Südfrankreich. Und dann war ich einmal in Rom, am Vatikan, zu meinem 70. Geburtstag. Das hatten mir meine Kinder damals geschenkt. Und sonst war ich nirgends im Ausland. Weißt du, mein Neffe war doch mal für ein paar Jahre an einem Gymnasium in Kairo, später war er in Hong Kong an einer Schule und hatte uns immer eingeladen, ihn mal zu besuchen.

Und warum habt ihr das nie gemacht?
Der Opa hatte nie Zeit und meinte immer, später, wenn wir älter sind. Und mein Neffe hat von den Pharaos erzählt und den Gräbern und wir hätten nur kommen müssen und uns um nichts kümmern, aber… ist halt nichts geworden. Weißt du, verschieben ist auch so eine Sache. Dann lebt ein Teil nicht mehr und dann ist es schon zu spät.

Denkst du das Leben vergeht schnell?
Ja, das tut es.
Also Julchen, jetzt hören wir aber auf. Das Gespräch wird sonst zu teuer. Du machst das schon richtig …Passt auf euch auf und kommt bald wieder. Lebt wohl, gesund und zufrieden. Bis bald, ist ja nicht mehr so lange. Und kommt gesund wieder!

Sie legt auf, ich den Pinsel zur Seite und gehe kurz in mich.

Der Mut, der mir vermittelt wurde, einfach mal zu machen und meine Träume zu verwirklichen, darum zu kämpfen und arbeiten, war möglich, weil es den Raum dafür gab.

Was Oma in ihrer Jugend erleben musste, ist für meine Generation kaum vorstellbar. Und hier steht sie im hohen Alter und möchte nur, dass es allen gut geht und man Gutes füreinander tut. Vielleicht kann ich ihr etwas zurückgeben, indem ich ihre Geschichten festhalte und sie den Menschen zum Lesen gebe.

Ich hab noch so viele Fragen. Der nächste Anruft folgt bald.

Hey Nana - Jule & Oma Klara: „Ich rufe sie von Bali aus an, ungefähr alle zwei Wochen über Skype auf ihr Festnetz“

Diese OMAge stammt von Jule Waibel (34). Eine Frau mit  viel Kreativität und Oma-Liebe: Die gebürtige Schwäbin arbeitet von Bali und Berlin aus als Designerin und Künstlerin. Bekannt ist sie vor allem für ihre außergewöhnlichen Falten-Designs (vom Möbelstück bis hin zum Wow-Kleid) – und das passt irgendwie thematisch, denn bei HeyNana werden schließlich die faltigen Ladies gefeiert.

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Cloudy & Oma Angela: „Sie lehrte mich, dass man sich als Frau nicht für einen Mann klein machen muss“

Cloudy & Oma Angela:

„Sie lehrte mich, dass man sich als Frau nicht für einen Mann klein machen muss“


Meine Großeltern, Oma Angela und mein Opa Günter um genau zu sein, haben lange Zeit in Polen gelebt, wo auch meine Mama und meine Tante zur Welt gekommen sind. Eigentlich sind sie Deutsche, aber das ist eine andere Geschichte, die ein wenig mehr Platz und Zeit bedarf (wir sprechen hier über Enteignung, kulturelle Identität, Flucht, und vieles mehr). Aber meiner Lieblingsanekdote willens bleiben wir hier bei vereinfachten Fakten: Wir befinden uns also bei meiner polnischen Familie in Polen, irgendwann Anfang der 60er-Jahre, als es mich noch nicht gab. Das Leben war hart, aber glücklich, vor allem aber war das Geld knapp und das, obwohl rund um die Uhr „geschafft” wurde. Die Familie lebte in einem schlauchartigen Haus mit rundem Dach. So, wie man es von alten Flugzeughangars kennt. Davor gab es einen kleinen Garten mit allerhand Gemüse und bunten Blumen und die Kinder spielten gerne auf der Straße. Das Leben drehte sich um die Familie und das Überleben. 

Eines Tages fand meine Oma heraus, dass sich das Leben meines Opas noch um etwas anderes drehte. Ein geheimes Laster nämlich, das er offensichtlich im Verborgenen pflegte. Mein Opa rauchte. Und das war etwas, das meine Oma verabscheute. Und wenn meine Oma etwas verabscheute, kam ihr das nicht ins Haus. Sie schimpfte meinen Opa und untersagte ihm das rauchen, immerhin war das Geld doch auch so knapp. Mein Opa entschuldige sich und meine Oma war zwei Tage lang mürrisch. 

Hey Nana - Cloudy & Oma Angela

Wie das aber oft so ist mit Lastern – vor allem jenen, denen im Verborgenen gefrönt wird – ist es gar nicht so einfach, mit ihnen aufzuhören.

Und so hörte auch mein Opa nicht auf zu rauchen, sondern überlegte sich neue Verstecke für seine Zigarettenschachteln. Meine Oma wiederum wäre jedoch nicht die Regentin des Hauses gewesen, wenn sie nicht ein außerordentliches Gespür für Geheimes gehabt hätte. Und so fand sie ziemlich schnell heraus, dass ihr Schimpfen offensichtlich nichts gebracht hatte. Meine Oma ist eine sehr selbstbestimmte und auch bestimmte Frau – und genau so nahm sie sich dieses Themas auch an. 

Eines Freitagabends kam mein Opa wie üblich spät nach Hause. Er hatte über zwölf Stunden gearbeitet, die Woche war lang und hart gewesen und da damals auch samstags gearbeitet wurde, war noch nicht mal der Sonntag in Sicht. Er war müde, ausgelaugt und durchgefroren. Doch als er das Haus betrat, traute er seinen Augen nicht: Der Kamin versprühte wollig warme Hitze, überall leuchteten Kerzen und es duftete köstlich nach Knödeln und Braten und Rotkohl. Meine Oma erschien in einer strahlenweißer Schürze und flötete ihm entgegen, dass er sich setzten solle, die Kinder seien bereits im Bett und er werde jetzt so richtig verwöhnt werden. 

Mein Opa dachte kurz, er hätte sich im Tag geirrt und es wäre Weihnachten, grinste aber über beide Ohren, ließ sich am Esstisch fallen und hielt sich mit einer Hand den knurrenden Bauch. Erst jetzt merkte er, dass er bis auf eine Schnitte Brot noch nichts zwischen die Zähne bekommen hatte. Aus der Küche strömte ein Spektakel an Gerüchen und er konnte sich kaum beherrschen. Was für eine großartige Frau er doch hatte, dass sie sich so um ihn kümmerte! 

Schon kam auch meine Oma aus der Küche geschwebt, schenkte ihm ein Bier ein und stellte eines der beiden silbernen Tabletts mit ebenfalls silberner Servierglocke an ihrem Platz ab. Alles war so festlich! Als sie ihr Tablett lüftete, dachte er, sein Bauch würde vor Glücksgefühlen platzen: Knödel, Rotkohl und Braten, mit extra viel Soße. Genau so, wie er es erschnüffelt und gerochen hatte und genau das, was es sonst nur zu besonderen Anlässen gab.

Meine Oma strahlte bis über beide Ohren. „Und für dich mein Schatz, nur das Allerbeste,” sagte sie und deutete ihm an, auch seine Servierglocke zu lüften. Gesagt, getan – und geschockt: Auf seinem Teller lagen fein säuberlich zerschnittene Zigaretten. Meinem Opa entglitt das Gesicht, meine Oma stieß imaginär in der Luft mit ihrem Weinglas mit ihm an und flötete: „Jeder bekommt das, für das er sein Geld am liebsten ausgibt”, bevor sie genüsslich in ihren Braten biss. 

Es war der Tag, an dem mein Opa nichts zu essen bekam und hungrig ins Bett gehen musste. Es war auch der Tag, an dem mein Opa das letzte Mal eine Zigarette geraucht hatte. Und er war ebenfalls der Tag, an dem meine Oma unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie nicht mit sich scherzen ließ.

Während man oft Pralinen mit Kirschlikör, Bonbons in der Handtasche und Häkeldeckchen mit Omas assoziiert, denke ich zwar auch an ihren Apfelkuchen (der natürlich der beste Apfelkuchen der Welt ist, wie könnte es anders sein), vor allem aber an genau diese Anekdote – und an ihren eisernen Willen, der mir schon als kleines Kind imponiert hatte. Sie ließ sich nicht veräppeln, sie ließ sich nie die Butter vom Brot nehmen und sie stand für das ein, an was sie glaubte. Wenn ihr der Respekt, der ihr gebührte, nicht entgegen gebracht wurde, holte sie ihn sich mit Aktionen wie dieser wieder zurück – und ich war daher auch schon immer von ihrer Selbstbestimmtheit fasziniert. Sie lehrte mich, dass der richtige Partner an der Seite auch eine selbstbestimmte Frau lieben kann und dass man sich als Frau nicht für einen Mann klein machen muss. Meine Großeltern sind das beste Beispiel: Sie sind jetzt seit über 60 Jahren glücklich verheiratet. Die bestimmte Art meiner Oma Angela ist mit der Grund, wieso meine Familie nach Deutschland kommen und ich als Enkelin so glücklich aufwachsen konnte, und dafür bin ich dankbar – und ja, auch für ihren selbst gebackenen Apfelkuchen.

Diese OMAge stammt von Cloudy Zakrocki (34). Zwar ist sie Als VicePresident International Content & Brand Strategy für Refinery29 (ViceMediaGroup) sowas von in Berlin am Start, ihre Heimat im Schwarzwald und die Herzensmenschen in ihrer Familie wie Oma Angela besucht sie aber so oft wie möglich. Weihnachten daheim? Safe! 

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Stephanie & Oma Barbara: „Sie ist die Person, mit der ich mitunter am liebsten telefoniere & am herzlichsten lache”

Stephanie & Oma Barbara:

„Sie ist die Person, mit der ich mitunter am liebsten telefoniere & am herzlichsten lache”


Meine Omi ist jetzt 86 Jahre jung. Ja genau, jung und nicht alt. Denn wenn man Barbara, kurz Bärbel oder Wetti, zuhört, wie sie über Menschen gleichen Alters spricht, dann hört sich das so an, als würde sie da keineswegs dazugehören. Sie lebt 630 km entfernt in meiner Heimatstadt in der Nähe von Stuttgart. Ich in Berlin. 20 Jahre bin ich ums Eck von ihr groß geworden. Immer stand ihre Türe offen. Die Türe in ein Zuhause voller Liebe, gutem Essen und jeder Menge Raum für Blödsinn. Seit ich vor zwölf Jahren wegzog, telefonieren wir nun einmal pro Woche an einem festen Tag. Früher am Sonntag. Seit einem Jahr ist es der Montag. Mal rufe ich an, mal die Omi. Mal sprechen wir nur zehn Minuten, mal zwei Stunden. Daran hat sich auch nach über zwölf Jahren nichts geändert. Die Hauptsache ist, dass wir erfahren, wie es der anderen geht und was in ihrem Leben so passiert. Auf meine Nachfrage hin bekomme ich meist die Antwort eines überzeugten „gut“. Selten beklagt sie sich, ist zufrieden. Und in ihrem Leben passiert zum Glück auch noch einiges.

Seit 26 Jahren lebt sie alleine, doch hat sie noch einige ihrer Lieben direkt um sich. Die Tochter und der Schwiegersohn sind im selben Haus, ein Enkelkind, Freundinnen, Schwager und Schwägerinnen in der selben Stadt. Auch wenn die Aktivitäten weniger werden, so genießt sie es, wenn was los ist, Besuch kommt oder sie mit ihren Frauen ausgeht.  Letzteres passiert niemals ohne Lippenstift.

Hey Nana - Stephanie & Oma Barbara
Hey Nana - Stephanie und Oma Barbara

Gepflegt aufzutreten ist ihr nicht nur wichtig, sondern bereitet ihr auch große Freude. Das gilt nicht nur für sie, sondern auch für ihre Umgebung. Ihr Zuhause ist daher stets hübsch hergerichtet und dekoriert.

Seit neuestem nennt sie einen Rollator ihren treuen Gefährten und auch dieser ist selbstverständlich nur das das stylischste Modell und in Kupfer gehalten. Wenn schon, denn schon. Ihre Freundinnen necken sie oft liebevoll, dass sie schon seit je her die Schönste sein wollte. Ich bin froh über das soziale Netzwerk, welches sie unmittelbar um sich hat und versuche, sie aus der Ferne so gut es geht zu unterstützen und Zeit mit ihr zu verbringen. Je älter sie wird, desto wichtiger ist mir das. Oft hören wir uns daher mittlerweile auch einige Mal mehr in der Woche. Sie ist froh, dass es das Telefon gibt und ich bin es auch. Sie ist die Person, mit der ich mitunter am liebsten telefoniere und am herzlichsten lache. Wenn ich anderen von ihren Sprüchen und Geschichten erzähle, leuchten meine Augen und mir wird immer wieder bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann, sie noch an meiner Seite zu haben, mich mit ihr austauschen zu können, über die Vergangenheit und über das Jetzt.

Erst neulich haben wir uns über Geburten unterhalten. Sie hat etwas erzählt und ich habe stutzig nachgefragt: „Und wo war der Opi?“ Da ließ sie mich wissen, dass es früher unüblich war, Männer bei der Geburt an der Seite zu haben. Aus meiner heutigen Perspektive bin ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass mein Opi bei den Geburten dabei war.

Es ist ein Beispiel von vielen, welches zeigt, dass es sich lohnt genau zuzuhören und nachzufragen, um wertvolles Wissen aufzufangen, welches es ohne sie nicht mehr geben wird.

In diesem Zuge hat sie mir dann auch erzählt, dass sie für die ersten vier Geburten im Krankenhaus war, bei der fünften Geburt dann aber beschlossen habe, dass sie das nun könne und dafür nicht mehr ins Krankenhaus müsse. Mann und Kinder sind zu meiner Uroma und sie hat ihren Sohn, mit Hilfe von Arzt und Hebamme zuhause im Wohnzimmer auf die Welt gebracht.

Über die Jahre durfte ich feststellen, dass je älter ich wurde und je näher ich mir selbst gekommen bin, desto näher sind wir uns nochmals gekommen und desto offener wurde unsere Kommunikation. Ich habe gelernt, einfach zu fragen, egal um welches Thema es geht. Und ich habe das große Glück, dass sie bereit ist, über jedes Thema zu sprechen. Nichts wird ausgeklammert. Auch schmerzhafte Themen dürfen besprochen werden. Ich empfinde das als ein großes Geschenk. Wir weinen dann manchmal und lachen wieder. Doch nicht nur ich ziehe wahnsinnig viel aus unseren Gesprächen, auch für sie ist es immer eine große Freude „ihr Madl“ zu hören. Sie fühlt sich gesehen, hat Spaß einfach aus dem Alltag zu erzählen, erfreut sich an meinem Interesse an ihr, ihrer Geschichte und daran, ihre Erfahrungen weiter geben zu können. Und Erfahrungen hat sie viele gesammelt. Einige davon möchte ich teilen. Denn wenn mich was beeindruckt, dann ist es ihr Umgang mit ihren Schicksalsschlägen und welch lebensfroher Mensch sie trotz allem oder gerade deswegen  ist.

Nur kurze Zeit nachdem sie ihre Heimat in Jugoslawien 1955 verlassen musste, hat sie festgestellt, dass sie schwanger ist. Den Vater ihres Sohnes, den sie geliebt hat, musste sie zurücklassen und konnte ihm nur telefonisch mitteilen, dass sie ein gemeinsames Kind erwarten. Ihren Sohn hat sie die ersten Jahre mit der Unterstützung ihrer Eltern an ihrem jetzigen Wohnort alleine groß gezogen.  Eine schwere Entscheidung, wie sie sagt, denn hätte sie ihrem Herzen folgen können, so wäre sie zurückgegangen. Doch wusste sie nicht, was ihr dann widerfahren wäre und so blieb sie. Ein Glück hat sie nur wenige Jahre später meinen Opi kennengelernt und mit ihm und den vier weiteren gemeinsamen Kinder unsere Familie gegründet. Gearbeitet hat sie trotzdem immer. Zum einen war es ihr wichtig weiter auf eigenen Beine zu stehen. Zum anderen haben sie als Familie das Geld benötigt. Und so sind meine Omi und mein Opi beide arbeiten gegangen. Sie haben unterschiedlich geschichtet, wodurch sich immer einer um die Kinder und den Haushalt kümmern konnte.

Leider hat sie viel zu früh zwei Kinder und meinen Opa verloren. Nachdem plötzlichen Tod ihres damals 25-jährigen Sohnes ist sie gemeinsam mit meinem Opi in Kur und Therapie gegangen. Sie sagt, ohne diesen Schritt weiß sie nicht, ob sie es gemeinsam durch diese Zeit geschafft hätten.
Vielleicht eine Erfahrung die dazu beiträgt, dass sie auch heute stets dafür plädiert, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn man selbst nicht weiterkommt. Als mein Opi dann wenige Jahre später verstarb, ist sie der Einladung ihres Cousins nach Amerika gefolgt, um etwas Ruhe und Abstand finden zu können. Und so hat sie mit 61 Jahren das erste Mal ein Flugzeug betreten und drei Monate in Amerika verbracht. Die Frage ob sie englisch konnte, verneint sie: „Aber immerhin habe ich hochdeutsch gesprochen und nicht schwäbisch, so dass andere wenigstens den Hauch einer Chance hatten, mich zu verstehen.“ Scheinbar hat es funktioniert und sie hat es gut über den großen Teich geschafft. Nach einiger Zeit vor Ort habe sie dann etwas englisch verstanden und kann auch heute noch einige Worte. Ob ihr die Zeit gut getan hat, habe ich sie gefragt und sie sagt Ja. Es habe gut getan rauszukommen, auch wenn daheim dann doch alles wieder auf sie gewartet habe. Zehn Jahren nach diesen Todesfällen hat sie aktiv beschlossen, jetzt sei gut. Sie müsse loslassen. Sie erzählt: „Natürlich denke ich an sie und weine auch immer wieder. Aber es musste einfach weiter nach vorne gehen.“

ine weitere ganz besondere Reise hat sie dann 2016 unternommen. Mit 82 Jahren ist sie alleine zu mir nach Berlin gekommen. Sie hat es sehr genossen zu sehen, dass ich es schön habe und Neukölln doch nicht so gefährlich zu sein scheint, wie im Fernseher berichtet wird. Und auch ich habe es sehr genossen, ihr diese Einblicke in mein Leben geben zu können. Mit ihr bin ich in dieselben Cafés oder Restaurants gegangen, in die ich auch sonst gehe. Das gute Brot des hippen Großstadtbäckers hätte sie am liebsten aus dem Restaurant mitgenommen und wahrscheinlich hätten sie ihr auch noch die letzten Scheiben gegeben. Denn wenn sie was kann, dann ist es offen auf Menschen zuzugehen.  Auch als ich sie am Flughafen nach dem Check-in in der Schlange zurücklasse, kann ich das beruhigt tun, denn schon hat sie mit den Leuten um sich herum angebändelt. Sie macht es jedem leicht, sich in ihrer Gegenwart wohl zu fühlen und ist nie um einen Spruch verlegen. Auch dann nicht, wenn sie wie neulich erst zur Untersuchung ihres Herzens im Krankenhaus liegt. Manchmal überrascht sie sich dabei sogar noch selbst. Und so verabschiedet sie sich vom Arzt wie folgt: „Schön, jetzt bin ich wieder überholt. Ich hab ’ne neue TÜV Plakette und bin jetzt kein alter Volkswagen mehr, sondern ein nigelnagelneuer Mercedes.“ Als sie das erzählt lacht sie und sagt: „Ha, wie schnell mir sowas dann aber auch einfällt. Ganz verkalkt bin ich noch nicht.“ Und sie fügt hinzu: „Steffi, also das könnt ich wirklich nicht. Einfach so dasitzen und mit niemandem reden. Auch wenn es nicht immer einfach ist, ohne Humor wird’s auch nicht besser.“

In diesem Sinne hoffe ich mit dem TÜV und guten Genen ausgestattet auf noch viele weitere Jahre des frohen Austausches mit ihr.

Ich werde jede gemeinsame Minute weiterhin ganz bewusst und fest in mein Herz aufnehmen und bin unfassbar dankbar und in tiefem Vertrauen, dass ihre Liebe, ihr Lachen und ihre positive Energie immer ein Teil von mir sein werden.

Auch dann, wenn wir irgendwann mal nicht mehr miteinander telefonieren können. Und das macht mich sehr, sehr glücklich. Omi — ich liebe dich und erhebe ein Glas Ramazzotti auf dich! (Den mag sie nämlich sehr.)

Diese OMAge stammt von Stephanie Brenner, die gebürtige Schwäbin ist  Designerin und Yin-Yoga-Lehrerein in Berlin.

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Jadu & Oma Maria: „Sie möchte fliegen, einmal in ihrem Leben. Also reisen wir nach Sardinien“

Jadu & Oma Maria:

„Sie möchte fliegen, einmal in ihrem Leben. Also reisen wir nach Sardinien“


Vier Jahre ist es her, als meine Oma einen Schlaganfall erlitt. Zum Glück war es nur ein leichter und sie trug keinerlei bleibende Schäden davon. Jedoch war es ein Denkanstoß. Oma war zu diesem Zeitpunkt 81. Ein hohes Alter. Sie möchte fliegen, einmal in ihrem Leben. Diese Möglichkeit bot sich jedoch nie. Zum einen fehlte Zeit und Geld für eine Flugreise, zum anderen pflegte Oma jahrelang ihren bettlägerigen Mann. Ich möchte ihr also diesen Wunsch jetzt erfüllen, solange es noch geht, solange sie laufen kann und nicht wie andere in ihrem Alter, vielleicht den Rest ihres Lebens im Bett verbringen muss. Also fliege ich mit ihr nach Sardinien.

Für mich ist es ein oft erlebter Moment, wenn das Flugzeug abhebt. Für meine Oma ist es das allererste Mal. Ich bin tief berührt, während ich beobachte, wie aufgeregt sie ist, wie sie mit leuchtenden Augen die Wolken von oben betrachtet und sich wie ein kleines Mädchen freut. Diese Reise ist auch für mich die intensivste Zeit, die ich mit meiner Oma bisher verbracht habe. Wir schlafen in einem Zimmer, putzen uns zusammen die Zähne und planen gemeinsam, was wir erleben möchten. Mit dem Mietwagen geht es quer über die wunderschöne, hügelige Insel. Wir halten an, um einer Schildkröte über die Straße zu helfen. Oma staunt über dieses Tier und wir sind froh, dass wir sie in Sicherheit bringen konnten. Wir reden während der langen Fahrten über ihr Leben und über meines und tauschen uns aus.

Hey Nana - Jadu und Oma Maria
Hey Nana - Jadu und Oma Maria

Ich denke über die wütenden Frauen, die noch immer für Gleichberechtigung kämpfen und über Omas damalige Situation nach. „Sittsam, bescheiden und rein“, so sollten Mädchen und Frauen sich verhalten. Schwimmen lernen durften nur die Jungs. Oma kann es bis heute nicht. In der zweiten Klasse schlug ihr der Lehrer auf die Fingerknöchelchen, weil sie nicht singen wollte. 1945 war sie im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie mit Pferdekutschen auf der Flucht, übernachtete in Scheunen und hatte kaum zu essen. Mit 18 flüchtet sie aus Angst vor dem eigenen Vater durch einen Hohlgraben aus der DDR in den Westen: Sie ist unehelich schwanger geworden, was damals verpönt war. Doch auch das Jugendamt vor Ort drängt sie, den Vater des Kindes zu heiraten, was sie letztlich tut. Sie ist jedoch unglücklich in dieser Verbindung, weil ihr Mann ihr hart erarbeitetes Geld einkassiert und in Kneipen verprasst. Die Männer durften damals über ihre Frauen bestimmen, sie galten praktisch als Eigentum. Sie entschieden, ob ihre Frauen arbeiten durften und waren auch dazu berechtigt ihre Jobs zu kündigen. Sie zeigt nun also ihrem Mann die monatlichen Lohnstreifen ihrer Arbeitskollegin vor, die weniger verdient als sie und spart die Differenz heimlich in einem Regenschirm, um wieder zurück in die DDR nach Halberstadt zu ihren Eltern zu ziehen.

Mich stimmen die Geschichten aus Omas Leben sehr nachdenklich und traurig.

Oma freut sich für unsere, die hier in Deutschland aufgewachsene Generation, wie frei wir jetzt sind. Dass wir als Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können, lieben dürfen wen wir wollen, lernen dürfen was wir möchten, uns kleiden dürfen, wie wir es mögen. Und dass wir bisher keinen Krieg hier erleben mussten. Sicherlich gibt es noch Ungerechtigkeiten, aber man sollte bei all der Wut, den Demonstrationen und den Kämpfen auch zwischendurch innehalten und genießen, Demut zeigen und zu schätzen wissen, was wir heutzutage alles haben, können und dürfen. Die Freiheit, die viele nicht erleben konnten und können.

Oma ist auf dieser Reise richtig aufgeblüht, man sieht ihr die neue Lebensenergie an. Sie strahlt und zehrt noch heute von den Erinnerungen an Sardinien. Im Flugzeug über den Wolken, bei einem Picknick auf dem Boot, begleitet von Delfinen. Am Strand unter Palmen, mit ihren Füßen im Meer, auch wenn sie nicht schwimmen kann.

Hey Nana - Jadu und Oma Maria

Diese OMAge stammt von der in Berlin lebenden Musikerin Jadu. Sie hat ihr eigenes Musiklabel gegründet und gerade ihr erstes Album „Nachricht vom Feind“ veröffentlicht. Im Oktober geht sie auf Tour.

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Anja & Oma Maria: „Auch mit 107 Jahren lässt man noch Pizza kommen“

Anja & Oma Maria:

„Auch mit 107 Jahren lässt man noch Pizza kommen“


„Wer weiß, wie lange Oma noch lebt“ ist bei uns in der Familie schon seit geraumer Zeit der Standardsatz. 1992 hatte meine alleinlebende Großmutter Maria ein typisches Oma-Alter von 83 Jahren und das Argument, sie könne ja bald sterben, zog noch. Aber nach und nach nahm diese Prophezeiung niemand mehr ernst. Maria fuhr zu dieser Zeit nämlich immer noch jeden Winter nach Spanien und kam wie das blühende Leben zurück. Als sie im Alter von 100 Jahren mit ihrem jüngsten Sohn (meinem Papa) zusammengezogen ist, hatte sie auch wieder die Art von Gesellschaft, die sie sich schon lange wünschte. Aufgrund ihrer Fitness konnten wir sie trotz ihres sehr hohen Alters problemlos in unseren Alltag einbinden. Dass sie aber auch mit 107 Jahren selbst noch eine Hilfe für die Familie sein konnte, möchte ich mit folgender Geschichte über Oma Maria erzählen.

Mein Papa fragte mich mal wieder, ob ich Oma-Sitting bei mir Zuhause machen könnte. Da ich nach der Arbeit gleich zum Yoga wollte, bat ich meinen Freund Nick (damals 33), ob er sich nicht einen lustigen Abend  Maria machen möchte. Klar, er freute sich sogar. Und der Auftrag war ja eh recht simpel, denn nach der Tagesschau kam bei Oma nur noch die Natur-Doku auf Arte…

Als ich also um zehn Uhr abends nach Hause kam, sah ich meinen schlafenden Freund auf der linken Seite des Sofas liegen und auf der rechten meine im Sitzen eingeschlafene Oma. Na, das war ja dann wohl eher ein leichtes Spiel für Nick und ein entspannter Abend für Oma, denke ich. Auf dem Couchtisch lag eine offene Schachtel mit Pizzaresten und eine leere Chips-Tüte. Bier war auch keines mehr im Kühlschrank.

Hey Nana - Anja & Oma Maria
Hey Nana - Anja & Oma Maria

Also, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, die Beiden haben hier eine richtig lustige Party veranstaltet.

Oma bemerkte mich zuerst und richtete sich blitzschnell auf.
Oma Maria: „Anja-Spätzchen, du bist schon wieder da? Das ging aber schnell.“
Nick: „Oh, ich hab dich gar nicht gehört…“
Anja: „Hattet ihr denn einen schönen Abend?“
Oma Maria: „Oh ja sehr!“ Und grinste über beide Ohren.

Später fragte ich Nick: „Und wie war es? Irgendwelche Besonderheiten?“
Nick: „Nein. Ich habe Oma gefragt, was sie essen möchte und hab Pizza geholt. Dann haben wir gequatscht und ferngesehen. Also alles gut. Kann ich gerne mal wieder machen.“

Papa rief mich am nächsten Morgen an, um mir zu berichten, was Oma Maria ihm auf dem Heimweg erzählte.
Oma Maria: „Also, ich kann das gerne mal wieder machen.“
Papa: „Was meinst du?“
Oma Maria: „Na, auf den Nick aufpassen! Der Arme. Ich kann das wirklich verstehen, dass man nicht gerne alleine ist. Anja hat so viel zu tun, da sollte der Nick abends nicht alleine sein und auf sie warten.“
Papa, erstaunt: „Aha.“
Oma Maria: „Ja, ich habe auch gesagt: Wir lassen Pizza kommen, denn der Junge braucht ja was Richtiges zu essen.“
Papa: „Mensch, Mutter, das ist ja wunderbar. Ich werde Anja gleich sagen, dass sie da nächstes Mal auch auf deine Hilfe zählen kann.“
Oma Maria: „Ja, mach das. Es war auch gar nicht so schwer, denn er ist gleich eingeschlafen.“

Ich liebe diese Geschichte sehr, denn sie hat mir gezeigt, wie unterschiedlich die Ansichten über ein und dieselbe Sache sein können. Oma hat uns damit auch mitgeteilt, wie sie die Situation gesehen hat, und dass sie gerne Aufgaben übernimmt und nützlich ist.

Wir haben ihr natürlich nicht widersprochen oder uns darüber lustig gemacht, sodass am Ende aus dem Oma–Sitting ein Nick-Sitting wurde.

Bis ins hohe Alter von 108 ½ Jahren hat mich Oma Maria gerne überrascht und mir durch unerwartete Situationen immer wieder die Augen geöffnet, ehe sie ihre Augen für immer schloss. Ihre Sprüche und Weisheiten (z.B. „Immer vorwärts gehen, niemals stehen bleiben“) leben in mir weiter. Ich bin sehr dankbar, dass ich ein Teil davon sein konnte und ihr Leben im hohen Alter mitgestalten durfte. Oma Maria öffnete durch ihre gesunde Art zu Leben und die positive Einstellung die Herzen der Menschen. Sie gab ihnen den Glauben, dass man sich um das Alter keine Gedanken machen muss. Wenn man neugierig bleibt und sich selbst immer wieder neue Aufgaben im Leben sucht, bleibt es lebenswert.

Unser letztes gemeinsames Projekt war das Buch „Oma, die Nachtcreme ist für 30-Jährige! – Die unglaublichen Geschichten einer 107–Jährigen“. Es steckt voller Lebensfreude und Humor, und wurde bereits mit großer Resonanz angenommen.  Und ich verrate es gleich, ich habe noch eine Oma, die ist inzwischen auch schon 103 Jahre alt. Oma Mia lebt mit meiner Mutter zusammen und kommt natürlich auch in dem Buch vor. Ich bin jetzt also mit über 40 immer noch ein glückliches Enkelkind (das kleine Anja-Spätzchen) und die vielen Oma Erlebnisse von früher und heute halten mich jung. Und wer weiß, wie lange Oma Mia noch lebt ????

Auch nach dem Tod von Maria leben ihre Weisheiten weiter im Buch „Oma, die Nachtcreme ist für 30-Jährige”

Auch nach dem Tod von Maria leben ihre Weisheiten weiter im Buch „Oma, die Nachtcreme ist für 30-Jährige”

Diese OMAge stammt von Anja Fritzsche, sie ist Art Direktorin, Künstlerin, Autorin und Hundmama in Bayern. Ihr Buch „Oma, die Nachtcreme ist für 30-Jährige!: Die unglaublichen Geschichten einer 107-Jährigen”, erschien 2018 und schaffte es auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Die dazugehörige Facebook-Seite „Was macht eine 107 jährige heute“ lebt mit einer tollen Community weiter – auch nach dem Tod von Maria. Aber dafür mit Updates zu Oma Mia.

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Tijan & Oma Marlies: „Sie hat nie den Glauben an sich selbst verloren”

Tijan & Oma Marlies:

„Sie hat nie den Glauben an sich selbst verloren”


Meine Oma Marlies ist 80 Jahre alt. Sie kommt aus Ostpreußen, Rastenburg. Sie ist die jüngste von sechs Geschwistern. Ab dem 25. Januar 1945 war sie mit ihrer Familie sechs Wochen lang auf der Flucht, übers Haff bei -25 Grad Celsius. Sie war damals gerade fünf Jahre alt. Mit 21 Jahren begann sie das Medizinstudium und lernte dabei auch meinen Opa kennen. Die beiden führten gemeinsam eine Praxis für allgemeine Medizin, zogen drei Kinder auf und genießen jetzt ihr Rente mit viel Fahrradfahren und Reisen nach Usedom oder auch mal nach Namibia. Die beiden sind schon 55 Jahre verheiratet.

Ich bin stolz auf meine Oma, weil sie immer ihren Träumen gefolgt ist, nie den Glauben an sich selbst verloren hat und unglaublich witzig und liebevoll ist. Aber lest selbst, coronabedingt habe ich meine Oma für HeyNana am Telefon interviewt: 

Hey Nana - Tijan & Oma Marlies

  • Oma, was sind deine Eigenschaften, auf die du wirklich stolz bist?

    „Ehrlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Bescheidenheit, also ich muss nicht andauernd etwas Neues haben und Verantwortung hab ich auch übernommen.“

  • Welche Eigenschaften, würdest du sagen, sind in der heutigen Zeit als junge Frau relevanter als zu der Zeit, als du eine heranwachsende Frau warst?

    „Also da hab ich nicht viel. Sprachen sind wichtig heutzutage, dass eine junge Frau einen Beruf hat und Computerwissen.“

  • Welche Eigenschaft siehst du von dir in mir und was hast du von mir gelernt?

    „Da kriegst Du ein großes Lob. Du bist fleißig, ehrlich, herzlich, gefühlvoll, respektvoll, sport- und tanzbegeistert. Du bist so gelassen, während ich so schnell in die Luft gehe. Das inspiriert mich an Dir.“ (lacht)

Was sind die prägenden Ereignisse im Leben gewesen, die dich zu der Frau gemacht haben, die du heute bist?
„Da fällt mir nur Flucht und Vertreibung ein, das hat mein ganzes Leben, meinen Werdegang beeinflusst. Ich war zielstrebig und bin einfach vorwärts gegangen ohne rechts und links zu gucken.“

Welchen Stellenwert haben junge Frauen heutzutage in unserer Gesellschaft deiner Meinung nach?
„Die sollten einen sehr hohen Stellenwert haben, weil sie meistens mehr leisten müssen als die Männer und trotzdem nicht die gleiche Anerkennung kriegen und das ist ganz schön hart. Frauen können nicht mehr auf Männer setzen, dass sie sie ein Leben lang versorgen. Der Opa hat gesagt, dass das eigentlich sein müsste, weil wenn man Kinder großzieht, kann man eigentlich nicht den gleichen Stellenwert erreichen wie ein Mann und dann hat man im Alter halb so viel Rente. Insofern schneiden Frauen schlechter ab.“

Welche Werte sind in der Gesellschaft verloren gegangen und welche Werte sind in der Gesellschaft dazu gekommen?
„Ich finde, heute werden nicht genug Bücher gelesen, dann gehen alle Essen und kochen nicht mehr. Keiner singt mehr, wir haben damals die ganzen Volkslieder gekonnt. Dazu gekommen sind die Telefonitis, Computersucht und Radikalität und nicht so viel Respekt gegenüber den Alten. Und heute wird zu viel und zu schnell Neues gekauft. Das hat sich verändert in der Gesellschaft. Wir haben früher die Sachen viel länger gebraucht.“

Welche Ratschläge möchtest du mir als junge Frau ans Herz legen?
„Lern einen Beruf, spare in der Zeit, so hast du in der Not. Iss mal wieder ein bisschen Fleisch das braucht der Köper für die Gesundheit. “ (lacht)

Würdest du noch einmal so jung sein wollen wie ich?
Das ist ein bisschen schwer zu beantworten. Der Opa hat heute gesagt, der Frühling riecht so gut. Ein bisschen Leben möchte ich schon. Aber ob ich nochmal so jung sein möchte wie du? Das glaub ich nicht, es wird alles unpersönlicher und schwieriger und der Klimawandel gefällt mir nicht.

Tijan Hey Nana

Links mein Tascheninhalt, rechts Omas Tascheninhalt: Eigentlich gar kein so großer Unterschied, nur aus dem Adressbuch wurde ein Handy mit Kopfhörern.

Die OMAage stammt von der Berliner Schauspielerin Tijan Marei (22), u.a. bekannt aus der Serie „4Blocks“. Für ihre erste Filmhauptrolle in der ARD-Produktion „Ellas Baby“ wurde sie 2017 für den Hessischen Filmpreis als „Beste Schauspielerin“ nominiert. Ende September 2019 war sie im ARD-Quotensieger „Nachts baden“ neben Maria Furtwängler zu sehen sowie in der Jugendserie „DRUCK“. Auch international hat Tijan bereits Erfahrungen gesammelt: Mit Julie Delpy spielte sie im Kinofilm „My Zoe“, außerdem stand sie mit Dame Judi Dench und Carla Juri für den englischen Film „Six Minutes to Midnight“ vor der Kamera.

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Ludivine & Oma Fanny: Grand-mère und mich trennen 1400 km, aber sie ist nur ein Videoanruf von mir entfernt

Hey Nana - Ludivine & Oma Fanny

Ludivine & Oma Fanny:

„Grand-mère und mich trennen 1400 km, aber sie ist nur ein Videoanruf von mir entfernt“


Grand-mère und mich trennen 1400 km. Doch sehen kann ich sie, wann immer ich will. Ein Klick genügt und sie strahlt über meinen ganzen Bildschirm. Skype benutzt sie schon lange bevor ich überhaupt davon wusste und eine ihrer WhatsApp-Nachrichten bringt mein gesamtes Umfeld aus der Fassung, die nicht glauben können, dass meine französische Oma ein wahres technisches Genie ist. Fotos, Videos und Erinnerungen sind, seit es möglich ist, bei ihr digitalisiert und wenn das Telefon läutet, ist es meistens eine ihrer Freundinnen, die dringend einen technischen Rat benötigt. Sie ist der Beweis dafür, dass die richtige Nutzung von sozialen Medien ein Geschenk an uns alle ist. Es wäre natürlich gelogen, würde ich behaupten, ich würde nicht lieber einmal übers Feld spazieren, um dann gemeinsam eine ihrer berühmten tarte aux abricots essen und mit ihr über den Sinn des Lebens philosophieren. Aber wenn mir danach ist, ist sie trotz örtlicher Entfernung nur ein Videoanruf von mir entfernt – und das macht es zumindest ein Stück weit gut.

Grand-mère und mich trennen 1400 km. Doch unendlich viel verbindet uns. Sie ist für mich nicht nur der Ursprung meiner französischen Wurzeln, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes der Anker unserer 19-köpfigen Familie. Als Superheldin mit vier Töchtern ist sie wahrscheinlich ein Vorbild für viele, wie man bei einem Familientreffen alle satt und bei Laune hält. Ihr größtes Glück liegt darin, wenn die gesamte Familie in ihrem süßen Garten in Saint Malo (Bretagne) bei einem Apéritif auf das Leben anstößt. Und wenn sie gerade mal nicht zuhause ist, schlägt sie ein paar Bälle auf dem Golfplatz, schwimmt eine Runde im Meer oder sitzt schon im nächsten Zug oder Flieger. Egal ob nach Amerika, Japan, die Karibik oder Deutschland. Um Ihre Familie zu sehen ist ihr kein Weg zu weit.

Grand-mère und mich trennen 1400 km. Doch was sie mich gelehrt hat, ist – schon lange bevor ich es selbst verstanden habe (wenn man es überhaupt verstehen kann) – dass das Leben aus Höhen und Tiefen besteht. Nur der Wechsel ist beständig und manchmal hat man eben das Gefühl, dass alles genau so läuft, wie es gerade nicht laufen soll. „Un mal qui sert a bien.“ (wörtliche Übersetzung: „Etwas Schlechtes, was dem Guten dient.“) Das ist wahrscheinlich der Satz, den ich am häufigsten von grand-mère gehört habe. Was uns diese Worte letzten Endes sagen? Alles ist ok und gleichzeitig auch wichtig, damit Platz für was Neues ist – was Besseres, was Schöneres. Und wahrscheinlich ist es auch der Satz, den ich selbst noch an meine eigenen Kinder und Enkel weitergeben möchte.

Grand-mère und mich trennen 1400 km. Doch nah bei mir hätte ich sie gern jeden Tag.

Diese OMAGE stammt von Ludivine Aubry. Als zugezogene Berlinerin und Mitarbeiterin einer therapeutischen Beratungsstelle für Musiker*innen studiert sie gerade Psychologie im Master. Bis Sie sich Ihren Traum einer eigenen Praxis erfüllt, singt und tanzt sie durchs Leben, produziert einen Podcast und folgt ihrem Impuls, sich im Schreiben und Texten kreativ auszuleben.

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