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Cloudy & Oma Angela:

„Sie lehrte mich, dass man sich als Frau nicht für einen Mann klein machen muss“


Meine Großeltern, Oma Angela und mein Opa Günter um genau zu sein, haben lange Zeit in Polen gelebt, wo auch meine Mama und meine Tante zur Welt gekommen sind. Eigentlich sind sie Deutsche, aber das ist eine andere Geschichte, die ein wenig mehr Platz und Zeit bedarf (wir sprechen hier über Enteignung, kulturelle Identität, Flucht, und vieles mehr). Aber meiner Lieblingsanekdote willens bleiben wir hier bei vereinfachten Fakten: Wir befinden uns also bei meiner polnischen Familie in Polen, irgendwann Anfang der 60er-Jahre, als es mich noch nicht gab. Das Leben war hart, aber glücklich, vor allem aber war das Geld knapp und das, obwohl rund um die Uhr „geschafft” wurde. Die Familie lebte in einem schlauchartigen Haus mit rundem Dach. So, wie man es von alten Flugzeughangars kennt. Davor gab es einen kleinen Garten mit allerhand Gemüse und bunten Blumen und die Kinder spielten gerne auf der Straße. Das Leben drehte sich um die Familie und das Überleben. 

Eines Tages fand meine Oma heraus, dass sich das Leben meines Opas noch um etwas anderes drehte. Ein geheimes Laster nämlich, das er offensichtlich im Verborgenen pflegte. Mein Opa rauchte. Und das war etwas, das meine Oma verabscheute. Und wenn meine Oma etwas verabscheute, kam ihr das nicht ins Haus. Sie schimpfte meinen Opa und untersagte ihm das rauchen, immerhin war das Geld doch auch so knapp. Mein Opa entschuldige sich und meine Oma war zwei Tage lang mürrisch. 

Hey Nana - Cloudy & Oma Angela

Wie das aber oft so ist mit Lastern – vor allem jenen, denen im Verborgenen gefrönt wird – ist es gar nicht so einfach, mit ihnen aufzuhören.

Und so hörte auch mein Opa nicht auf zu rauchen, sondern überlegte sich neue Verstecke für seine Zigarettenschachteln. Meine Oma wiederum wäre jedoch nicht die Regentin des Hauses gewesen, wenn sie nicht ein außerordentliches Gespür für Geheimes gehabt hätte. Und so fand sie ziemlich schnell heraus, dass ihr Schimpfen offensichtlich nichts gebracht hatte. Meine Oma ist eine sehr selbstbestimmte und auch bestimmte Frau – und genau so nahm sie sich dieses Themas auch an. 

Eines Freitagabends kam mein Opa wie üblich spät nach Hause. Er hatte über zwölf Stunden gearbeitet, die Woche war lang und hart gewesen und da damals auch samstags gearbeitet wurde, war noch nicht mal der Sonntag in Sicht. Er war müde, ausgelaugt und durchgefroren. Doch als er das Haus betrat, traute er seinen Augen nicht: Der Kamin versprühte wollig warme Hitze, überall leuchteten Kerzen und es duftete köstlich nach Knödeln und Braten und Rotkohl. Meine Oma erschien in einer strahlenweißer Schürze und flötete ihm entgegen, dass er sich setzten solle, die Kinder seien bereits im Bett und er werde jetzt so richtig verwöhnt werden. 

Mein Opa dachte kurz, er hätte sich im Tag geirrt und es wäre Weihnachten, grinste aber über beide Ohren, ließ sich am Esstisch fallen und hielt sich mit einer Hand den knurrenden Bauch. Erst jetzt merkte er, dass er bis auf eine Schnitte Brot noch nichts zwischen die Zähne bekommen hatte. Aus der Küche strömte ein Spektakel an Gerüchen und er konnte sich kaum beherrschen. Was für eine großartige Frau er doch hatte, dass sie sich so um ihn kümmerte! 

Schon kam auch meine Oma aus der Küche geschwebt, schenkte ihm ein Bier ein und stellte eines der beiden silbernen Tabletts mit ebenfalls silberner Servierglocke an ihrem Platz ab. Alles war so festlich! Als sie ihr Tablett lüftete, dachte er, sein Bauch würde vor Glücksgefühlen platzen: Knödel, Rotkohl und Braten, mit extra viel Soße. Genau so, wie er es erschnüffelt und gerochen hatte und genau das, was es sonst nur zu besonderen Anlässen gab.

Meine Oma strahlte bis über beide Ohren. „Und für dich mein Schatz, nur das Allerbeste,” sagte sie und deutete ihm an, auch seine Servierglocke zu lüften. Gesagt, getan – und geschockt: Auf seinem Teller lagen fein säuberlich zerschnittene Zigaretten. Meinem Opa entglitt das Gesicht, meine Oma stieß imaginär in der Luft mit ihrem Weinglas mit ihm an und flötete: „Jeder bekommt das, für das er sein Geld am liebsten ausgibt”, bevor sie genüsslich in ihren Braten biss. 

Es war der Tag, an dem mein Opa nichts zu essen bekam und hungrig ins Bett gehen musste. Es war auch der Tag, an dem mein Opa das letzte Mal eine Zigarette geraucht hatte. Und er war ebenfalls der Tag, an dem meine Oma unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie nicht mit sich scherzen ließ.

Während man oft Pralinen mit Kirschlikör, Bonbons in der Handtasche und Häkeldeckchen mit Omas assoziiert, denke ich zwar auch an ihren Apfelkuchen (der natürlich der beste Apfelkuchen der Welt ist, wie könnte es anders sein), vor allem aber an genau diese Anekdote – und an ihren eisernen Willen, der mir schon als kleines Kind imponiert hatte. Sie ließ sich nicht veräppeln, sie ließ sich nie die Butter vom Brot nehmen und sie stand für das ein, an was sie glaubte. Wenn ihr der Respekt, der ihr gebührte, nicht entgegen gebracht wurde, holte sie ihn sich mit Aktionen wie dieser wieder zurück – und ich war daher auch schon immer von ihrer Selbstbestimmtheit fasziniert. Sie lehrte mich, dass der richtige Partner an der Seite auch eine selbstbestimmte Frau lieben kann und dass man sich als Frau nicht für einen Mann klein machen muss. Meine Großeltern sind das beste Beispiel: Sie sind jetzt seit über 60 Jahren glücklich verheiratet. Die bestimmte Art meiner Oma Angela ist mit der Grund, wieso meine Familie nach Deutschland kommen und ich als Enkelin so glücklich aufwachsen konnte, und dafür bin ich dankbar – und ja, auch für ihren selbst gebackenen Apfelkuchen.

Diese OMAge stammt von Cloudy Zakrocki (34). Zwar ist sie Als VicePresident International Content & Brand Strategy für Refinery29 (ViceMediaGroup) sowas von in Berlin am Start, ihre Heimat im Schwarzwald und die Herzensmenschen in ihrer Familie wie Oma Angela besucht sie aber so oft wie möglich. Weihnachten daheim? Safe!