Keeping Up with the Schönes
Keeping Up with the Schönes
Wird es immer egaler, wie man aussieht? Wann hast du dich am schönsten gefühlt?
Ann-Kristin Schöne fragt nach bei ihrer Mama und Oma
Ann-Kristin (38): Oma, neulich hast du dein Gesicht aus einem Selfie von uns rausgeschnitten. Mich hat es überrascht, dass man sich mit 95 Jahren noch so kritisch sehen kann.
Erni (95): Ich bitte dich. Das war eine Nahaufnahme. Und ich so faltig und kraus neben dir als blühendem Leben.
Ann-Kristin: Na ja, wenn wir Schönheit nur am Äußeren festmachen, verlieren wir alle schnell. Ab Mitte 20 geht’s da ja schon wieder bergab …
Renate (72): Aber nicht, was den Geist angeht! Da läuft es bestenfalls umgekehrt. Lebenserfahren und weise bist du nicht mit 20 oder 30. Auch um den eigenen Charakter zu finden, braucht man ein gewisses Alter.
Ann-Kristin: Ich erinnere mich, dass du dich und dein Leben früher ständig mit anderen verglichen hast. Ich fand das wahnsinnig nervig.
Renate: Ach ja? Alle vergleichen sich doch. Um dich selbst zu finden, brauchst du die anderen. Als Abgleich. Außerdem kann das ein Ansporn sein.
Ann-Kristin: Gerade bei Frauen ist das Ergebnis von Vergleichen viel zu oft, dass sie sich selbst zu Mängelexemplaren machen.
Erni: Ich dachte auch immer, dass alle anderen anziehender sind. Ich habe drei Schwestern, bin aber die Einzige mit Sommersprossen. Mit zwölf habe ich mir Schwanenweiß ins Gesicht geschmiert. Eine Bleichcreme. Mein Gesicht ist angeschwollen, die Sommersprossen sind natürlich geblieben.

Ann-Kristin: Was hat euch mehr beeinflusst: die Meinung anderer Frauen oder die von Männern?
Erni: Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit anderen Frauen ausgetauscht und beraten. Da war immer viel Wertschätzung. Ich erinnere mich, dass ich mal kurze Hosen getragen habe, die Opa nicht gefallen haben.
Renate: Und?
Erni: Ich habe sie dann nicht mehr getragen. Es war mir ein Anliegen, so angezogen zu sein, dass Opa nichts auszusetzen hatte.
Ann-Kristin: Hat Opa sich auch so angezogen, dass es dir gefallen hat?
Erni: Immer. Ich habe ja die Kleidung für ihn gekauft. Hört sich für dich alles komisch an, was?
Ann-Kristin: Na ja, dass Frauen für das Äußere zuständig sind, zieht sich eigentlich bis heute durch. Zum Beispiel sind es immer noch überwiegend die Frauen, die die Kleidung für ihre Kinder kaufen.
Renate: Ich finde, es ist auch ein Ausdruck von Wertschätzung, wenn einem die Meinung des Partners nicht egal ist.
„Ich habe mich eigentlich mein Leben lang nicht als schön empfunden.“
Ann-Kristin: Wann habt ihr euch am schönsten gefühlt?
Erni (denkt eine Weile nach): Ich habe mich eigentlich mein Leben lang nicht als schön empfunden.
Renate: Ich auch nicht. Bis auf den Tag meiner Hochzeit. Da hatte ich einen tollen weißen Hut, während alle anderen damals Schleier getragen haben.
Ann-Kristin: Ist das euer Ernst? Mich macht das traurig.
Renate: Muss es nicht. Wichtig ist, dass Körper und Seele im Einklang sind, dass man irgendwann zu sich selbst findet.
Ann-Kristin: Das klingt ein bisschen esoterisch …
Renate: Quatsch. Ich meine damit, dass ich inzwischen weiß, was ich tragen will, welche Farben ich gut finde. Mit 15 habe ich mir Kleider in Schockfarben gehäkelt, lila, grün, und zur Krönung einen Kettengürtel drüber. Hatten damals alle, wollte ich natürlich auch. Heute muss ich nicht mehr jeden Trend mitmachen, ich kann mir die einfach interessiert ansehen – ohne Druck, dieses oder jenes besitzen zu müssen. Und ich bin mittlerweile von Menschen umgeben, mit denen ich mich gerne auseinandersetze. Alle anderen Meinungen sind mir heute viel egaler.
Ann-Kristin: Macht Zufriedenheit schön, Oma?
Erni: Ein verdrießliches Gesicht ist jedenfalls nichts Schönes. Unzufriedene Menschen gucken ja nicht nur missmutig, sie sind es auch. Da verlierst du irgendwann Freundlichkeit und Offenheit. Und ohne die gibt’s keine Schönheit.
Ann-Kristin: Wenn ihr euch fertig macht, was macht dabei am meisten Spaß?
Renate: Meinen blauen Kajalstrich zu ziehen, der ist seit Jahrzehnten gesetzt. Und meine Lippen. Die sind von Natur aus voll und haben einen eher dunkleren Ton, da muss ich gar nichts machen. Ich werde öfter gefragt, wo ich sie habe aufspritzen lassen.
Erni: Meine Haare. Scheitel ziehen, drei-, viermal rechts gekämmt, das Gleiche links, einmal mit den Händen aufbauschen, und die Frisur sitzt. Ich habe immer noch volles Haar. Das ist schön grau und kaum weiß. Und gewellt, schon immer.
Ann-Kristin: Und was würdet ihr gerne an euch verändern?
Erni: Ich würde mir den Rücken gerade machen lassen. Ich versuche schon, aufrechter zu gehen und zu sitzen. Aber, ach, (winkt ab) das strengt mich zu sehr an.
Renate: Ich habe den Buckel ja leider von Oma vererbt bekommen – hätte ihn aber auch gerne nicht.
Ann-Kristin: Bei mir ist er in Ansätzen auch schon da. Verbindet uns. Hat Oma dir auch was Gutes mitgegeben? Was hat sie in Bezug auf dein Selbstwertgefühl richtig gemacht?

Renate: Sie hat mir nie Illusionen gemacht. Und ihr war ein guter Charakter immer am wichtigsten. Als Kind musste ich mich mal mehrere Tage lang übergeben und habe dann zum Arzt gesagt: Warum kann das nicht jemand anderes haben? Daraufhin gab’s eine Standpauke, an die ich mich heute noch erinnere.
Ann-Kristin: Und was glaubst du, hast du als Mutter richtig gemacht?
Renate: Ich habe euch Freiraum gelassen. Dabei hattet ihr ein paar komische Phasen. Lila Strähnen, rasierte Lücken in den Augenbrauen, diese T-Shirts mit den Hanfblättern. Ich habe euch aber immer machen lassen, meist auch kommentarlos. Ganz anders als du.
Ann-Kristin: Was soll das jetzt heißen?
Renate: Ich habe den Eindruck, dass du mit meinem Auftreten genauso kritisch bist wie mit deinem eigenen. Du warst noch nie verlegen, deine Meinung zu sagen. Manchmal kann die einen niederschmettern. Wenn ich eine neue Jeans anziehe und von dir kommt nur: „Was sind da wieder für fürchterliche Glitzersteine drauf?“
Ann-Kristin: Das finde ich unfair. Ich versuche ganz bewusst, den Menschen in meinem Umfeld Komplimente zu machen, auch dir. Und auch wenn ich die Glitzersteine wirklich schlimm finde, feiere ich es, dass dir meine Meinung egal ist und du sie einfach anziehst. Da bist du ein Vorbild für mich.
„Ihr Jüngeren traut euch ohnehin viel eher, für euch einzustehen. Meine Generation hat für dieses Selbstbewusstsein ewig gebraucht. Vor allem die Frauen“
Renate: Das freut mich. Ihr Jüngeren traut euch ohnehin viel eher, für euch einzustehen. Du trägst ja gerade immer die alten Halstücher von Oma, und ich habe den Eindruck, je mehr Sprüche du dazu bekommst, desto lieber trägst du sie. Meine Generation hat für dieses Selbstbewusstsein ewig gebraucht. Vor allem die Frauen.
Erni: Stimmt. Ich habe immer versucht, in der zweiten Reihe zu bleiben. So bin ich groß geworden. Meine Mutter hat immer gesagt: „Nimm einen Schluck Wasser in den Mund, dann brauchst du nicht zu sprechen.“
Ann-Kristin: Du bist 1930 geboren. Da war sicherlich weniger Platz, um sich zu entfalten.
Erni: Mein Vater war im Krieg, meine Mutter auf dem Feld. Wir lebten mit der ganzen Verwandtschaft auf engstem Raum, und ich musste mich um meine Schwestern kümmern. Mit Schönheit war da nicht viel. Das höchste Ziel war, ordentlich auszusehen, also sauber zu sein und möglichst keine kaputte Kleidung zu tragen. Die Konzentration auf das Äußere, mit all den Cremes und Eingriffen, ist ein Luxus, den sich nur die Menschen leisten können, die in Frieden und Wohlstand leben.
Renate: Und die Zeit haben.
Ann-Kristin: Gibt’s Modetrends, die ihr gar nicht versteht?
Erni: Diese Unterhosen, die zwischen den Pobacken sitzen. Warum zieht man so was an? Ich stelle mir das schrecklich unangenehm vor. Und wenn man Geld für Hosen ausgibt, die Löcher haben.
Renate: Dieser Fokus auf Marken. Ich habe versucht, euch das auszutreiben. Aber wenn ich dich so ansehe, ist mir das nicht ganz gelungen.
Ann-Kristin: Du trägst nie teure Kleidung. Und fragst mich bis heute bei jedem neuen Teil zuerst, was es gekostet hat.
Renate: Wir hatten früher kaum Geld. Das habe ich nie vergessen. Es wäre mir schrecklich unangenehm, wenn die Leute merken, dass die Sandalen an meinen Füßen 200 Euro kosten.
Erni: Ich habe mich immer erhaben gefühlt, weil ich nicht „nachtragen“ musste. Da ich die Älteste von uns vier Schwestern war, wurde die Kleidung für mich neu gekauft. So was wie Selbstverwirklichung gab’s aber trotzdem nicht.
Ann-Kristin: Jetzt finde ich es fast schön, dass du dich aus dem Selfie rausgeschnitten hast und selbstbestimmt entscheidest, dass so ein Foto von dir nicht im Wohnzimmer stehen soll.
Erni: Nächstes Mal zeigst du es mir, bevor du es ausdruckst.


Fotos via Unsplash:
Oben: Nicolas Brulois
Mitte: Sohaib Tariq
Unten links: Ramsés Cervantes
Unten rechts: Jingxi Lau

















